David Bowie in Berlin!
Köthener Straße: Das klingt belanglos. Lange war diese Straße im Mauerniemandsland West ein Nichts am Potsdamer Platz. In einem runter gekommenen Altbauhaus, das wie ein Stiftzahn die leer gefegte Bombardierungsfläche überragte, fand und findet sich immer noch das Hansa-Tonstudio mit dem mittlerweile berühmten Meistersaal. Das war für David Bowie Ende der Siebziger die künstlerische Heimat, wo er mit Brian Eno und Tony Visconti seinen legendären Sound fand. Mittlerweile ist alles um das rausgeputzte Ruinenhaus herum bebaut. Es gibt sogar popgeschichtliche Führungen.
Keine 500 Meter Luftlinie davon entfernt findet man David Bowie, geborenen David Robert Jones, heuer wieder. Im Londoner Victoria & Albert Museum war die Show von Kostümen, Requisiten, Instrumenten und Versatzstücken schon 2013 ein absoluter Hit. Woanders als im Gropiusbau in Berlin hätte man die Ausstellung also hin importieren sollen. Die wegweisenden Alben „Heroes“, „Lodger“ und „Low“ entsanden hier ja in unmittelbarer Nähe. Bowie erholte sich von New York und seiner Drogensucht. Die sehr sehenswerte Ausstellung „David Bowie in Berlin!“ ist dort noch bis zum 10. August 2014 zu besuchen. Am besten, wenn man kluge Online-Tickets bucht, anstatt dumm in der dortigen Schlange zu stehen.
Das David Bowie-Vermächtnis
Man spinxt multisensual in David Bowies besondere Karriere. Denn der schmale Herr ist ein Künstler, der nichts dem Zufall überlässt. Alles ist Inszenierung. Das macht die Ausstellungs-Show deutlich. Das liegt an den Exponaten. Da ist alles von Anfang an gesammelt und bewahrt. Und zwar über einen Zeitraum von rund fünfzig Jahren (Anfangs schrieb man sich noch Briefe mit der Anrede „Esquire“). Bowie hat sein eigenes Archiv für alles Gesammelte.
Den Kuratoren des Victoria and Albert Museum, Victoria Broackes und Geoffrey Marsh, wurde erstmals Zugang zu diesem privaten „David Bowie Archive“ gewährt. Sie griffen rund 300 Objekte: handschriftliche Texte, Fotografien, Filme und Musikvideos, Set-Designs sowie Bowies Musikinstrumente, Album-Cover und persönliche Sammlungsstücke. Des weiteren sind 60 Bühnenkostüme in Berlin, darunter die von Freddie Burretti entworfenen „Ziggy Stardust Overalls“ (1972), Kansai Yamamotos extravagante Entwürfe für die „Aladdin Sane Tour“ (1973) und der Union-Jack-Mantel, den Bowie gemeinsam mit Alexander McQueen entwarf. Aus Bowies persönlichem Besitz kamen unveröffentlichte Storyboards, handschriftliche Set-Listen und Songtexte, Wortcollagen sowie Zeichnungen, Noten und Tagebucheinträge hinzu.
Kurz vor dem K.O.
Dabei stand die Berliner David Bowie Ausstellung kurz vor dem K.O. Das V&A wollte das Projekt direkt mit den Berliner Festspielen realisieren. Vergeblich. Als weißer Herzogsritter fungierte jetzt die Münchner Agentur Avantgarde, die über gute Kontakte nach London verfügt, und rettete das Projekt, indem sie selber zur Veranstalterin wurde. Das Werk ist gelungen. Natürlich hätte man die dunklen Seiten der Biografie wie die Drogenzeit ein wenig mehr beleuchten können, aber die Ausstellung gibt einen sehr guten Einblick in das Schaffen eines Multikünstlers und da braucht man auch keine Yellow-Press-Stories. Mir hat das gut gefallen. Mit einem Sennheiser-System persönlich versehen, hatten alle Exponatgruppen einen eigenen Soundtrack; man hörte zufällig mitgeschnittene Schnipsel aus dem Studio und natürlich das bekannte Werk. Bowie ist Bild und Sound. Ob Film, Video, Malerei, Inszenierung und Musik. Das Stück „Sound And Vision“ der Berliner David Bowie-Platte „Low“ ist dafür symptomatisch. (Meiner Meinung nach Bowie at his best!) So ergeht und erhört sich unter anderem die „Space Oditty“, die von Kubricks Film „2001“ stark beeinflusst war: „Take your protein pills and put your helmet on.“ Man kann die kleinsten einzelnen Teile des gigantischen Œuvres des Herren Bowie danach besser einordnen und natürlich fehlen auch die speziellen Berliner Inspirationen nicht. Heckel und Die „Brücke“-Künstler hatten es dem Maler Bowie angetan. Der damalige Hausschlüssel aus Schöneberg ist in einer Plexiglasvitrine ausgestellt. Dort hatte er sein Nest, nicht unweit der geliebten Romy (siehe showcases 3-2014), die dort ihren Avantgarde-Nachtclub „Chez Romy Haag“ betrieb. Bowie ging schon sehr früh eigene und andere Wege.
Technischer Zauber
Natürlich wird Video-Mapping eingesetzt. David Bowie ist ein Poser. Das gibt er hier über Kopfhörer laut und klar zu. Es gibt Exponate, die muss man aber auch hinter Türlochspionen suchen. Low-Tec im 21. Jahrhundert also auch. Und weiß Gott nicht nur für eingefleischte Fans. Die Ausstellung ist Pop-, Musik- und Kunstgeschichte und im Gropiusbau richtig platziert. Da kann man dem Altherren-Pop-Papst Diedrich Diederichsen gut und gerne widersprechen. Der macht Pop gerne zu etwas, was Pop nicht ist: ein philosophisches Geblubber oder Hirnwixxxerei.
Die technische Umsetzung lag übrigens beim Münchner Büro von Neumann & Müller. Die Nutzung der drahtlosen guidePORT-Systeme von Sennheiser sind im Ticketpreis inbegriffen, so dass Besucher die Ausstellung in ihrem „eigenen Rhythmus erkunden können“, wie es bei den Deutschen Mikrofon– und Kopfhörerspezialisten heißt. Darüber hinaus gibt es noch zwei quasi 9.1 Soundinstallationen mit Neumannlautsprechern, die den Sound fast greifbar machen.
Diedrich Diederichsens zeitweiser Weggefährte Frank Castorf zollt dem englischen Allroundkünstler David Bowie dagegen sein Tribut. In der aktuellen furiosen Aufführung des „Baumeister Solness“ an der Volksbühne hat der Regisseur den „Major Tom“ zu einem grandiosen Beinahe-Schlussbild herangezogen. Aber Castorf macht ja ungern Schluss.