Siebter Branchendialog des Forum Veranstaltungswirtschaft
vom 27.04.2023 veröffentlicht über meinMemoZwar scheint die Corona-Pandemie aus Sicht der Verbraucher:innen beendet – die Veranstaltungswirtschaft jedoch ist nach wie vor von ihren Langzeitfolgen betroffen. Gleichzeitig kommen massive Herausforderungen auf die Branche zu: der Krieg in der Ukraine, die Inflation, der Arbeits- und Fachkräftemangel sowie die Ziele des Green Deal auf europäischer Ebene. Welche dieser Probleme sind gerade besonders dringend und wie wollen die Verbände des Wirtschaftszweiges ihnen begegnen? Diesen und weiteren wichtigen Fragen gingen Vertreter:innen im siebten Branchentalk des Forum Veranstaltungswirtschaft im Rahmen der Prolight + Sound 2023 nach.
Mit beim Branchentalk dabei waren Johannes Everke, Geschäftsführer des BDKV (Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft e.V.), Michael Kynast, Vorstandsmitglied FAMA (Fachverband Messen und Ausstellungen e.V.) und Geschäftsführer Messe Erfurt GmbH, Marcus Pohl, 1. Vorsitzender des ISDV (Interessengemeinschaft der selbständigen Dienstleisterinnen und Dienstleister in der Veranstaltungswirtschaft), Sabina Linke, Geschäftsführerin des EVVC (Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren e.V.), Linda Residovic, Geschäftsführerin des VPLT (Verband für Medien- und Veranstaltungstechnik e.V.), sowie Randell Greenlee, Bereichsleiter Wirtschaft + Internationales beim VPLT als Moderator der Talkrunde.
Herausforderungen der Veranstaltungswirtschaft
Die Einstiegsfrage: Vor welchen aktuellen Herausforderungen stehen die einzelnen Bereiche, die die jeweiligen Verbände repräsentieren? Michael Kynast berichtete aus Sicht der Messewirtschaft, dass der Standort Deutschland noch immer darunter leidet, dass Behörden hierzulande die Messen in 2021 noch verboten hatten und Reisebeschränkungen herrschten, während in anderen Ländern zu diesem Zeitpunkt das Geschäft längst wieder gestartet war. „Es wird deshalb schwer, das wirtschaftliche Ergebnis aus 2019 zu erreichen. Messen müssen künftig ihr Programm außerdem verstärkt internationalisieren. Eine große Rolle spielen in Zukunft natürlich die Digitalisierung und Emotionalisierung von Messen. Wie gelingt es uns, Aussteller:innen und Besucher:innen wieder in großer Zahl anzulocken?“
Neue Produkte für neue Zielgruppen
Johannes Everke glaubt, dass die Branche einen Paradigmenwechsel braucht, weil sich die Interessen verändert haben: „Die Corona-Pandemie war wie eine Pausentaste. Wir sollten uns aber deshalb nicht auf den Zustand von 2019 zurückentwickeln. Stattdessen müssen wir über neue Zielgruppen und Produkte nachdenken und uns fragen, wie wir das Publikum der Zukunft abholen.“ Für die Musikwirtschaft gilt momentan: Konzerte mit großen Stars laufen wirtschaftlich mit ausverkauften Häusern wieder sehr erfolgreich. Die kleinen Acts und Clubs leiden jedoch noch immer. „Sie alle kämpfen mit der massiven Kostensteigerung. Alles ist entlang der Wertschöpfungskette deutlich teurer geworden. Diese Kosten kommen bei den Veranstalter:innen an. Sie können aufgrund eines zurückhaltenden Publikums und Ticketvorverkaufs jedoch nicht eins zu eins an die Verbraucher:innen weitergegeben werden. Einen Euro kann man nur einmal ausgeben und für viele Verbraucher:innen ist schon jetzt ein zweites oder drittes Konzert nicht mehr leistbar.“
Marcus Pohl mahnte: „Das Thema der Scheinselbständigkeit ist nicht an Corona gestorben. Wir müssen es wieder auf‘s Tableau bringen und uns fragen, wie Beauftragung anders funktionieren kann. Als isdv haben wir hier neue Ansätze, wie zum Beispiel Arbeitsgemeinschaften, entwickelt. Das tun wir auch im Sinne unserer Auftraggeber:innen.“
„Es fehlen nicht nur überall Arbeits- und Fachkräfte“, sagt Linda Residovic. „Gleichzeitig stellen neue Mitarbeiter:innen und Auszubildende der Generation Z und Y auch ganz neue Ansprüche. Viele haben ein anderes Verständnis in Bezug auf Werte wie soziale oder ökologische Nachhaltigkeit. Diese spielen bei der Auswahl von Arbeitgeber:innen jedoch eine wichtige Rolle.“ Sie wies in diesem Zusammenhang auf die neue Vergütungsstudie 2022/23 hin, die der VPLT auf der Prolight + Sound 2023 vorgestellt hat. „Um unsere Branche zu professionalisieren, benötigen wir mehr Transparenz bei der Vergütung. Auf der Agenda haben wir deshalb künftig auch tarifliche Strukturen. Ein positives Ergebnis der Studie ist zum Beispiel, dass der Durchschnittswert der Vergütung für Auszubildende in der Branche sehr hoch ist. Wichtig für die Veranstaltungswirtschaft sind außerdem neue Formate wie der Future Talents Day, für den die Prolight + Sound rund 700 Schüler:innen und Auszubildende erwartet. Ihnen müssen wir unsere Karrierewege aufzeigen.“ Michael Kynast ergänzte: „Unsere Branche ist so abwechslungsreich und international. Damit können wir die junge Generation für unsere Berufe begeistern.“
Nachhaltigkeit als Gütesiegel
Ein Thema, das alle Verbandsvertreter:innen zentral auf die Agenda der Branche setzen, ist die Nachhaltigkeit: So meint Sabina Linke aus Sicht der Veranstaltungs-Centren: „Kund:innen fragen verstärkt nach, ob Events oder Eventstätten umweltgerecht aufgestellt sind. Als EVVC haben wir uns verpflichtet, bis 2030 klimaneutrale Veranstaltungen durch unsere Mitglieder und Partner:innen anzubieten. Bis 2040 wollen wir Klimaneutralität in allen Veranstaltungsstätten erreichen. Kund:innen nehmen entsprechende Labels bei der Beauftragung positiv wahr und erwarten diesen auch zunehmend.“
Marcus Pohl ergänzte, dass in Bezug auf die soziale Nachhaltigkeit zum Beispiel eine Altersvorsorgepflicht für Selbständige relevant ist. Erschwerend für sie: Diese sind nun in Bezug auf eine ökonomische Nachhaltigkeit Teil der Reportingpflicht im Rahmen des Lieferkettengesetzes und müssen selbst entsprechende Nachweise liefern. Linda Residovic wies darauf hin, dass es für mehr Branchendisziplin mehr Kontrollen benötigt. Hilfreich sind zum Beispiel Zertifikate, die nun bei der Auftragsvergabe relevanter werden und von denen eines der VPLT zusammen mit dem TÜV Rheinland auf der Messe präsentiert.
Einig waren sich die Verbandsvertreter:innen, dass zur Professionalisierung gehört, Auftraggeber:innen aus Kultur und Industrie deutlich zu machen, dass bestimmte Aufträge in der bisherigen Form nicht mehr umsetzbar sind: „Wir sollten als Dienstleister:innen lernen, angesichts mangelnder Kapazitäten auch mal ‚nein‘ zu sagen“, so Marcus Pohl. „Wir müssen dann weniger, aber mit demselben Umsatz leisten. Wir zerfleischen uns sonst auf mittlere Sicht und sollten uns dafür besser solidarisieren.“
Organisation von Heterogenität
Ein weiterer Punkt der Talkrunde: Es braucht nach wie vor die heterogene Landschaft der Verbände, aber deutlich mehr Firmen, die sich darin organisieren. Allerdings zeigen das Forum Veranstaltungswirtschaft oder die Interessengemeinschaft Veranstaltungswirtschaft (IGVW) bereits, wie Heterogenität und gemeinsames Wirken seit Jahren erfolgreich vereinbar sind. „Wirtschaftszweige wie beispielsweise die Pharma- oder Chemiebranche sind ebenfalls heterogen“, so Sabina Linke. „Aber sie vereint ein Gesamtinteresse. Als Veranstaltungsbranche und sechstgrößter Wirtschaftszweig in Deutschland gelingt uns das auch.“