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Experten im Gespräch: „Wir brauchen MICE-Krisenmanagement. Seit COVID-19 mehr denn je.“

vom 01.04.2020 veröffentlicht über meinMemo

Ein Interview von Martin Stegmann (Prokurist Capricorn Events) mit Steff Berger (Managing Director und MICE – Krisenmanager, VOBE-Inspires People GmbH)

Martin Stegmann: Auf den Locations Messen in Mainz, München und auch Leipzig, hast Du Vorträge über MICE – Krisenkommunikation gehalten. Wie war Deine Erfahrung als Keynote auf den Messen?

Steff Berger: Die Locations Messen sind spannend und inspirierend. Durch den Austausch mit TeilnehmerInnen und Ausstellern habe ich viel Resonanz zu dem Thema erhalten. Sicher, positiv besetzte Themen wie „Digitalisierung“, „Leadership“ oder „Erlebnismarketing“ werden attraktiver bewertet und Vorträge darüber sind in der Regel besser besucht. Themen wie Krisenmanagement und Anti-Terror Bewusstsein für die Meeting Branche sind da eher weniger interessant. Umso mehr freue ich mich über den Zuspruch bei meinen Vorträgen.

Martin Stegmann: Woran liegt es Deiner Meinung nach, dass das Thema Krisenmanagement so unattraktiv scheint?

Steff Berger: Es gibt da sicherlich viele verschiedene Gründe, aber ein Grund könnte sein: Wörter wie Krise, Katastrophe oder Terror rufen keine positiven Assoziationen bei uns hervor. Genauso lösen Burnout, Stress und andere negative Begriffe eher eine Abwehrhaltung aus. In unserer Kultur ist noch tief verwurzelt, dass wir nicht über negative Dinge reden wollen, um uns nicht zu outen. „Wir haben keine Krise“ oder „Ein Terroranschlag – bei uns kann das nicht vorkommen“, solche Floskeln kennen wir zur Genüge.

Martin Stegmann: Glaubst Du, dass sich mit der jetzigen Situation rund um COVID-19 etwas an dieser Einstellung ändert?

Steff Berger: Ich halte Vorträge seit 2018 zu den Themen Anti-Terror Bewusstsein und Krisenmanagement. Und ich muss gerade daran denken, dass ich im Dezember letzten Jahres nach einem Vortrag diesen Kommentar auf LinkedIn erhalten habe: ‚Sehr inspirierender und spannender Vortrag zu einem Thema, das in unserer Branche nicht beliebt ist. Chapeau, Steff!‘ Das ist jetzt nur drei Monate her und die Welt hat sich in dieser Zeit komplett verändert. Krisen sind dynamisch und können sich leider blitzschnell in alle Richtungen entwickeln. Und mit COVID-19 hat sich das Thema Krisenmanagement zu einem brandaktuellen Thema entwickelt. COVID-19 hat alle gezwungen, sich mit verschieden Szenarien auseinanderzusetzen: Absage, Durchführung oder Verschiebung einer Veranstaltung, sowie den daraus resultierenden wirtschaftlichen Schäden. Krisenmanagement wird auch zukünftig sicherlich kein beliebtes Thema sein. Aber zumindest ist ein Bewusstsein geschaffen, das es positive Auswirkungen auf kritische Situationen und Krisen haben kann. MICE-Krisenmanagement ist jetzt nicht mehr aus der Branche wegzudenken. Wir werden grundsätzlich nach dieser Corona-Krise in der MICE-Branche mit Krisen anders umgehen und präventive Maßnahmen in unseren Veranstaltungskonzepten ergreifen müssen.

Martin Stegmann: Betrachten wir das mal genauer. Was bedeutet denn eigentlich Krisenmanagement gerade bei Veranstaltungen?

Steff Berger: Krisenmanagement bedeutet, einen Krisenfall schnell zu analysieren, zu reagieren und effektiv Entscheidungen zu treffen. Das heißt auch, so schnell wie möglich wieder den ‚Normalbetrieb‘ weiterführen zu können. Bei Veranstaltungen ist das doppelt so wichtig, da die Tage einer Veranstaltung begrenzt sind und wir uns eine Störung nicht leisten können. Zudem sind auch unsere Ressourcen oft begrenzt. Wir können uns gar nicht leisten, Mitarbeiter langfristig aus dem operativen Event zu nehmen, um sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Krisenmanagement bedeutet eine gute Vorbereitung auf das Unvorhergesehene, auf das, was kommen könnte. Und machen wir das nicht auch bei jeder Eventplanung? Wir schreiben Pläne - dann können wir genauso gut einen Worst Case Plan für kritische Situationen entwickeln oder nicht?

Martin Stegmann: Dann müsste also Krisenmanagement Bestandteil von Veranstaltungskonzepten werden?

Steff Berger: Richtig. Wir müssen das positive Bewusstsein schärfen, das - genau wie Sicherheitskonzepte - auch Krisenreaktionspläne Teil der Veranstaltungskonzepte werden. Es ist gut, einen Krisenreaktionsplan zu haben, genauso wie es gut ist, ein Sicherheitskonzept zu haben. Beides sind wichtige Voraussetzungen in der heutigen schnelllebigen Globalisierung. Für mich als Veranstaltungsplaner bedeutet die Vorbereitung auf eine unvorhergesehene Situation, Verantwortung für unsere TeilnehmerInnen zu übernehmen. Wenn etwas passiert, dann wird von uns erwartet, dass wir reagieren und proaktiv Lösungen finden.

Martin Stegmann: Proaktives Handeln setzt strategisches Denken voraus. Was muss man konzeptionell erfassen? Auf was muss man sich bei einer Veranstaltung einstellen?

Steff Berger: Die MICE-Branche wie auch die Tourismusbranche können von politischen, von wirtschaftlichen, von klima- und umweltbedingten Situationen beeinflusst werden, die unabhängig von der jeweiligen Veranstaltung sind, zum Beispiel Unruhen oder Demonstrationen, ein Unwetter usw. TeilnehmerInnen aber sind ausschließlich auf die Veranstaltung fokussiert. Wenn dann etwas passiert bzw. nicht zur Zufriedenheit der TeilnehmerInnen abläuft, dann kommt Unsicherheit oder Missmut auf, die in Form von direkten und indirekten Fragen auch über Social Media an die MitarbeiterInnen gestellt werden. Und da muss eine Strategie her, wer darf informieren, wie filtere ich die Informationen und wo können TeilnehmerInnen Informationen erhalten. Da geht es dann auf einmal um geballte Emotionen, die wir persönlich vor Ort wie auch medial einfangen müssen.

Martin Stegmann: Der Begriff Krisenmanagement ist gerade wegen der Corona Pandemie in aller Munde: In der Politik, in ganz unterschiedlichen Wirtschaftszweigen, im Gesundheitswesen. Kannst Du kurz erklären, worin der Unterschied zwischen Krisenmanagement und MICE-Krisenmanagement besteht?

Steff Berger: MICE – Krisenmanagement hat eine große Parallele zum klassischen Krisenmanagement. Aber MICE –Krisenmanagement ist ein Konzept, wie mit wenigen Ressourcen ein Krisenmanagement durchgeführt werden kann. Viele Veranstaltungsorganisationen bestehen aus kleineren Teams. Während der Veranstaltung hat jeder Mitarbeiter eine Funktion, eine Rolle zu übernehmen. Wir können uns gar nicht leisten, dass irgendetwas Unvorhergesehenes passiert. Und wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, dann stellt sich die Frage, wie wir überhaupt - ohne Ressourcen - eine neue Rolle einnehmen können. Im klassischen Krisenmanagement gibt es zuerst einmal ausreichende Ressourcen und meistens eine in sich geschlossene Organisation mit internen und externen Stakeholdern. Bei einer Veranstaltung sieht das allerdings anders aus, hier gibt es verschiedene Stakeholder mit verschieden Interessen aus unterschiedlichen Organisationen. Zu diesen Interessengruppen gehören z.B. der Veranstaltungsort, der Veranstalter, die Partner und die Dienstleister. Unser MICE-Krisenmanagement beinhaltet ein Konzept, das alle Partner gemeinsam ein Krisenteam bilden, um kritische Situationen, Zwischenfälle und Krisen gemeinsam zu meistern. Das bedeutet, wir füllen die nicht vorhanden Ressourcen aus den verschiedenen Teams auf. MICE-Krisenmanagement behandelt ad hoc Störfälle vor und während der Veranstaltung. Klassisches Krisenmanagement legt einen stärkeren Focus auf wirtschaftliche und politische Krisen. MICE-Krisenmanagement hat einen stärkeren Fokus auf Reputationsschäden und Zwischenfälle, die dann, wenn sie nicht angemessen einzufangen sind, sich blitzschnell in eine wirtschaftliche Krise verwandeln können.

Martin Stegmann: Aktuell erleben wir eine Krise für die gesamte Branche, und darüber hinaus. Das sind schwierige Zeiten für uns alle. Was bedeutet angemessenes MICE-Krisenmanagement an diesem aktuellen Beispiel?

Steff Berger: Diese globale Krise ist für uns alle beruflich, wie auch privat eine Herausforderung. Eine solche Ausnahmesituation hat es in dieser Form noch nicht gegeben. Die Dynamik der Situation ist beachtlich und es geht nun primär darum, die Ausbreitung des Corona Virus zu verlangsamen. Das erfordert Einschränkungen und auch persönlichen Verzicht.

Als wir uns in Leipzig gesehen haben, war die Lage noch eine andere. In meinem Vortrag habe ich Prof. Dr. Christian Drosten, Virologe in der Charité, zitiert: ‚Eine Bevölkerung, die seit ein paar Tagen schwankt zwischen Angst und Coolness.‘ Das habe ich auch in unserer Branche, in der Veranstaltungskommunikation, in Social Media Beiträgen, in persönlichen Gesprächen und Kunden Reaktionen erlebt. Menschen, die sarkastisch oder ignorant bis hin zu nachdenklich, besorgt und vorsichtig waren. Jeder darf seine eigene Meinung haben und die auch verbreiten, aber als veranstaltendes Unternehmen, das in irgendeiner Form Krisenmanagement und Krisenkommunikation betreibt, sollten persönliche Annahmen und Meinungen tabu sein.

Martin Stegmann: Wenn jetzt tatsächlich Veranstaltungen abgesagt oder verschoben werden, was sollte man in der Kommunikation berücksichtigen? Welche wichtigen Regeln sind in diesen schwierigen Zeiten einzuhalten?

Steff Berger: Krisenmanagement, insbesondere in der Kommunikation, ist wahr, eindeutig, lagegemäß, transparent und faktenbasiert. Und das ist auch meine Empfehlung. Krisen sind dynamisch und wir wissen nicht, was als nächstes passiert. Daher können wir nur den aktuellen Stand, die Fakten zum jetzigen Zeitpunkt mit in unser Krisenmanagement einbinden und Entscheidungen treffen, die zum aktuellen Zeitpunkt sinnvoll erscheinen. Der Erkenntnis, eine Veranstaltung aufgrund der aktuellen Krise absagen zu müssen, folgt in der Regel die Frage: „Wie gehe ich jetzt am besten vor?“. Um in schwierigen Zeiten nicht den Überblick zu verlieren, empfiehlt sich die Erledigung von Aufgaben Schritt für Schritt.

Martin Stegmann: Vielen Dank für das Gespräch. Ich freue mich, dass wir Dich schon bald auf der LOCATIONS Region Stuttgart am 08. Juli in Ludwigsburg wiedersehen werden.

Anm. d. R:
Steff Berger hat aktuell für die tw – tagungswirtschaft und das GCB – German Convention Bureau einen Leitfaden für das Krisenmanagement und die Krisenkommunikation während einer Pandemie bzw. einer Krise entwickelt. Diese Leitfäden findet Ihr online.

Zur Person: Steff Berger ist Beraterin in der Konferenz- und Veranstaltungsbranche, sowie MICE Krisenmanagerin. Sie ist Inhaberin und Geschäftsführerin von VOBE – Inspires People GmbH. Außerdem ist sie BCM-zertifizierte Krisenmanagerin und absolvierte Lehrgänge zur Terrorismusbekämpfung und zur Risikobewertung als „Anti Terror Officer". Ihr Spezialgebiet ist Krisenmanagement für den MICE-Sektor in Europa.. Darunter fallen Terrorangriffe, shit storms in den sozialen Medien, kritische Situationen, Krisen und mehr.

Ihre Vorträge über Krisenmanagement und Anti-Terror-Strategien für die MICE-Branche stoßen seit jeher auf reges Interesse und ziehen Interviewanfragen nach sich. Regelmäßig spricht Steff Berger auf Veranstaltungen weltweit und hält Workshops für Fachleute zu allen Aspekten des Veranstaltungsmanagements. Ihr Ziel ist es, Bewusstsein für die Problematik zu schaffen und Veranstaltungsteams jeder Größenordnung dabei zu unterstützen, praktikable Lösungen für prekäre Situationen zu finden.

Als systemischer Business-Coach, Wingwave-Coach und Trainerin erarbeitet Steff Berger für jeden Kunden maßgeschneiderte Lösungen. Getreu dem VOBE-Motto: „We make the difference" setzt sich Steff Berger Tag für Tag in jedem Projekt und jedem Training mit kreativem Denken dafür ein, praktische, effektive und personalisierte Ansätze für alle Beteiligten im MICE-Sektor zu entwickeln.