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Young-Stage Umfrage: So meistern Artisten weltweit die Corona-Krise

Eine weltweite Umfrage von Young Stage hat die Situation der Artistinnen und Artisten während der Corona-Pandemie untersucht. Haupt-Ergebnis: Auch wenn die Lage extrem schwierig ist – finanziell, aber auch physisch und psychisch – versucht der Großteil, das Beste aus der Krise zu machen.

Sie sind Artisten, Akrobaten und Künstler. Sie bringen ihr Publikum zum Staunen und vollbringen auf der Bühne Unglaubliches. Sie leben für ihren Beruf und stecken ihre gesamte Energie und Kraft in ihre Show. Im Circus, im Theater, auf der Bühne – und nicht im Homeoffice. Doch die Corona-Pandemie zwingt Artisten seit März dazu, zu Hause zu bleiben; Festivals wurden abgesagt, Bühnen geschlossen, Reisen untersagt. Was heißt das für die jungen Künstler? Welche Ängste und Probleme haben sie? Wie gehen sie mit der Situation um? Wie ist ihre finanzielle Lage? Und wie halten sie sich fit, körperlich, aber auch geistig?

Um diese Fragen zu beantworten, hat Young Stage aus der Schweiz, eines der bedeutendsten Circus-Festivals der Welt, eine Befragung mit 60 Artisten und Artistinnen aus 16 Ländern initiiert – mit erstaunlichen Ergebnissen. „Wir sehen es als unsere Aufgabe, jungen Artisten zu helfen und sie zu unterstützen. Dafür müssen wir sie aber verstehen und genau wissen, wo ihre Sorgen und Probleme liegen“, erklärt Festival Director und Young Stage-Gründerin Nadja Hauser. Aus Argentinien, Australien, Brasilien, Kanada, China, Finnland, Frankreich, Deutschland, Israel, den Niederlanden, Norwegen, Portugal, Taiwan, der Ukraine und den USA kommen die Umfrageteilnehmer – die Verteilung ist vergleichbar mit der Struktur der Bewerber und Festivalteilnehmer. Sie wurden im September und Oktober 2020 befragt.

Das Talent, schwierige Situationen zu meistern

Artisten gehören auf die Bühne, nicht ins Homeoffice.

Artisten gehören auf die Bühne, nicht ins Homeoffice. Fotos: Pablo Wünsch Blanco

Doch auch wenn die Artisten überall auf der Welt mit der Krise zu kämpfen haben, ist der Tenor der gleiche: Die Situation ist extrem schwierig, im Durchschnitt wurden 87 Prozent der Engagements der Umfrageteilnehmer abgesagt, zwei Drittel hatten gar keine Auftritte. Nur 15 Prozent konnten einige Shows noch durchführen. Das heißt auch, dass einem Großteil der Artisten sämtliche Einnahmen fehlen. Und trotzdem sind sich die Befragten größtenteils einig: Wir machen das Beste daraus! Nur etwa ein Viertel gab an, die Zeit der Pandemie sei sehr hart für sie gewesen. Mehr als 40 Prozent konnten gut oder sehr gut mit der Situation umgehen. Woher kommt dieser Optimismus in einer Zeit, in der der Circus doch eigentlich brachliegt? Beat Läuchli, der die Umfrage bei Young Stage ausgewertet hat, erklärt: „Die Artisten haben eben nicht nur die Skills, die es braucht, um auf der Bühne zu performen. Sondern auch das Talent, unsichere Lebenssituationen zu meistern.“ So stammt aus den Antworten folgendes Zitat: „Wenn Du Dich dafür entscheidest, zum Circus zu gehen, weißt Du vorher schon, dass es kein leichtes Leben wird. Es wird aufregend und außergewöhnlich, aber sicher nicht einfach.“

Die Chance in der Krise

Und diese Einstellung erklärt wahrscheinlich auch, warum so viele Künstler jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern die Zeit für sich nutzen, Neues lernen, Projekte und Shows planen. Und dabei stets positiv in die Zukunft blicken: Ganze 89 Prozent sind der Auffassung, dass die schwierige Lage ihnen auch Gutes gebracht hat, nur elf Prozent sehen das nicht so. Auch wenn mehr als die Hälfte angibt, finanziell etwas schlechter dazustehen und 23 Prozent sogar viel schlechter als vor der Krise, stimmte kein einziger Befragter der Aussage zu: „Ich mache mir große Sorgen um meine Zukunft.“ „Das war das beeindruckendste Ergebnis unserer Umfrage“, erklärt Nadja Hauser. „Wie flexibel, kreativ und positiv die Artisten mit der schlimmen Lage umgehen. Sie sehen die Welt als Ganzes und denken nicht nur an sich. Probleme wie der Klimawandel macht den meisten mehr zu schaffen als in Selbstmitleid zu verfallen, weil sie keine Auftritte mehr haben.“

Auch staatliche Hilfen tragen ihren Teil dazu bei, dass die Künstler nicht aufgeben: 62 Prozent erhielten Unterstützung, 38 Prozent jedoch gingen komplett leer aus. Um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, suchten sich knapp zwei Drittel der jungen Künstler Jobs in teilweise ganz anderen Branchen. Doch für viele ist eine komplette Abkehr vom Circus-Leben keine Option. Die Hälfte gab an, Circus sei ihr Leben, und ein Jobwechsel nicht denkbar. 38 Prozent sehen sich aber dazu gezwungen, sollte die Pandemie noch länger andauern; 13 Prozent überlegen bereits jetzt, die Branche komplett zu wechseln. „Eine positive Einstellung zahlt eben am Ende die Miete nicht“, erklärt Beat Läuchli.

Jeder fünfte ist weniger trainiert

Corona-bedingt sind die Circus-Zelte im Moment leer.

Corona-bedingt sind die Circus-Zelte im Moment leer. Fotos: Pablo Wünsch Blanco

Und auch das Training wurde durch Corona zum Problem: Fast ein Drittel hatte während der ersten Corona-Welle keine Trainingsmöglichkeit. Drei Viertel konnten sich fit halten – doch nicht unbedingt so, wie es für ihre speziellen Disziplinen notwendig ist. „Viele gingen in der Zeit joggen oder hielten sich irgendwie fit. Aber die Muskelkraft, die Koordination, die sie für ihre Shows brauchen, zu trainieren, war oft schwierig“, so Nadja Hauser. Nur ein Viertel derer, die weiterhin trainieren konnten, hatten Zugang zu ihrer gewohnten Trainingslokalität. 20 Prozent der Befragten fühlen sich nicht mehr auf dem gewohnten Level. Viele Duos oder Trios, die gemeinsam auftreten, konnten durch die Reiseverbote überhaupt nicht mehr trainieren, sondern hingen in ihren Heimatländern fest. Doch auch hier konnten die Befragten der Situation etwas Positives abgewinnen: Statt ständigem Reisen, hartem Training und Auftrittsstress finden 28 Prozent, dass sie jetzt in besserer physischer Verfassung seien als vor der Pandemie. „Die Zwangspause hat manchen Künstlern gutgetan. Denn sie trainieren sonst oft am Anschlag, sind dabei aber auf sich gestellt und werden nicht betreut wie etwa ein Spitzensportler“, erklärt Nadja Hauser. Anders sieht es mit der geistigen Verfassung aus. Wer für den Circus brennt, dem fehlt die Lebensgrundlage, wenn dieser schließen muss. „Es ist das totale Auf und Ab“, schrieb einer der Befragten. „Ich bin dankbar, dass ich jetzt Zeit für mich habe, und dann wieder deprimiert, weil ich nicht auf der Bühne stehen kann und mich um die Zukunft des Circus sorge.“

Unsicherheit als größtes Problem

Und das ist der schwierigste Part für die Artisten: Die Unsicherheit, die Unplanbarkeit von Shows, Reisen und der generellen finanziellen Situation des Kultursektors. Nahezu alle befürchten, dass viele kleine Theater und Institutionen die Krise nicht überstehen, einige haben Bedenken, ob das Publikum überhaupt wiederkommen wird. „Es ist noch völlig offen, wie es weitergeht und was das für die Artisten bedeutet, die darauf angewiesen sind, zu reisen und sich auf die Einnahmen aus ihren Engagements verlassen müssen“, sagt Beat Läuchli. Denn als Artist auf der Bühne zu stehen, mag vielleicht ein schillernder und aufregender Beruf sein – aber es ist eben ein Beruf. Und dabei geht es am Ende darum, sich einen Lebensunterhalt zu verdienen. Sonst wird es still im Circus.