„Wir waren eigentlich so ready!“
Nadja Hauser war schon immer „mit dem Virus infiziert“, sagt sie. Mit dem Zirkus-Virus, zum Glück, das sie schon seit ihrer Kindheit begleitet. Kein Wunder, dass sie auch selbst Akrobatin wurde, Regie führte, Kinder trainierte – und schließlich, nach einer Ausbildung zur Physiotherapeutin, das Young Stage Circusfestival in Basel gründete. Denn: „Es brauchte eine Plattform für junge Profikünstler“, sagt sie. Und so wurde „in einer verrückten Stunde“ das Festival geboren. Auch wenn Nadja überzeugt ist, bei der ersten Austragung in jedes Fettnäpfchen getreten zu sein, was dort herumstand: Heute gehört es zu den bedeutendsten zeitgenössischen Circus Festivals überhaupt. Elf Mal fand es bereits statt, das zwölfte Festival war für den Mai 2020 geplant – mitten in der Corona-Krise. Erst wurde der Termin verschoben, dann ganz gestrichen. Und das, obwohl eigentlich alles schon parat stand: Künstler, Shows, Programme. So weh es zunächst tat, erfahren Nadja und ihr Team in der Krise aber großartige Unterstützung und Zuspruch von ihren Fans und Partnern. Und bleiben stets kreativ, um auch neue Formate zu entwickeln, die sie durch die Krise bringen.
Nadja, dieses Jahr hätte das Young Stage Circusfestival zum 12. Mal stattgefunden – in einem vergangenen Interview hast Du mal gesagt, das Festival sei „wie ein Baby“ für Dich. Wie und wann ist die Entscheidung gefallen, dass es 2020 kein Festival geben wird und wie hast Du Dich dabei gefühlt?
„Für mich war das Virus lange etwas, das weit weg irgendwo in China ist und an der Grenze stehenbleibt. Doch als dann die Fastnacht abgesagt wurde, in Basel ein riesen Ding, wurde ich das erste Mal nervös. Wir haben angefangen, verschiedene Szenarien durchzuspielen, sind aber fast überzeugt gewesen, dass sich bis Mai alles wieder normalisiert. Dann kam der Lockdown, die Schulen wurden geschlossen. Es gab eine Mitteilung der Schweizer Regierung im Fernsehen, die wir alle gemeinsam im Büro angeguckt haben – und dann war klar: Das war‘s erst einmal. Zu dem Zeitpunkt gingen wir aber noch fest von einer Verschiebung auf September aus.“
Wann wurde klar, dass auch aus dem Ersatztermin nichts wird?
„Das wurde während des Lockdowns täglich deutlicher – wir haben viele internationale Artisten, die gar nicht reisen können, immer weniger Reisen und immer weniger Veranstaltungen wurden möglich. Trotzdem hatten wir lange die Hoffnung, dass es noch klappt. In der Woche, wo das Festival eigentlich stattgefunden hätte, mussten wir schlussendlich auch den Ersatztermin im September canceln. Das war keine lustige Woche. Denn wir waren eigentlich so ready! Wir hatten ein tolles Programm, einen super Cast, 30 Open Air-Shows, alles war parat! Dann mussten wir den Stecker ziehen und allen absagen. Schlussendlich war es aber eine Erleichterung, dass wir die Entscheidung dann endlich getroffen hatten und das Hin und Her und das Hoffen und Bangen vorbei war. Das einzig Gute war, dass die Absage mit extrem viel Organisation verbunden war – wir haben uns in die Arbeit gestürzt und uns damit abgelenkt.“
Was habt Ihr dann gemacht, und wie den Premierenabend verbracht?
„Es war hart. Aber schön war, wie viel Zuspruch und Nachrichten wir bekommen haben, alle haben mitgefühlt und uns unterstützt. Wir haben gemerkt, dass wir da nicht alleine durchmüssen. Und am Premierenabend haben wir gefeiert, und zwar richtig (lacht). Natürlich nur mit einer kleinen Gruppe, mit Abstand halten und draußen, aber das hat uns geholfen, diesen Tag zu überstehen. Es war die ganze Zeit mein Anspruch: Es mag vielleicht eine Krise geben – deswegen möchte ich aber selber noch lange keine Krise schieben!“
Inwieweit haben staatliche Hilfen Euch unterstützt?
„Wir haben Kurzarbeit angemeldet und haben zum Glück treue Sponsoren, Stiftungen und die Swisslos-Fonds, die uns nicht im Stich lassen. Und viele unserer Ausgaben, z.B. für Technik, Gagen, Location, etc. fallen erst ganz kurz oder während des Festivals an. Wir konnten noch vieles stoppen, sodass wir nicht so riesige Fixkosten haben – Glück im Unglück sozusagen.“
Was bedeutet die Absage für die jungen Künstler, die bereits gecastet waren und sich auf ihren großen Auftritt gefreut haben?
„Alle Künstler, die wir für dieses Jahr ausgewählt hatten, dürfen auf jeden Fall im nächsten Jahr kommen – auch wenn jemand dann vielleicht älter als 27 ist (Das Young Stage Cicrucsfestival hat für die Teilnehmer eine Altersgrenze von 27 Jahren, Anm. d. Red.). Wie wir das nächstes Jahr alles umsetzen, werden wir sehen – derzeit ist alles ‚on hold‘ und wir warten ab, was dann überhaupt alles möglich ist. Wir hatten schon 70 Prozent unserer Tickets verkauft, und haben zum Glück so ein treues und Mut machendes Publikum, das uns unterstützt und die Tickets nicht gleich zurückgeben wollte.“
Wie sieht es mit den Schutzmaßnahmen aus – inwieweit könntet Ihr Auflagen erfüllen, wenn es zum Beispiel heißt, dass nur jeder zweite Stuhl besetzt sein darf?
„Wenn es so weit kommt, dann spielen wir nicht. Das rechnet sich nicht, und außerdem ist das Young Stage Circusfestival ist ein Festival der großen Emotionen, die kommen nicht auf, wenn nur die Hälfte der Reihen besetzt ist. Mein Credo: Entweder, wir lassen es krachen – oder wir halten die Füße still.“
Gibt es auch Ideen, das Festival oder Teile daraus ins Digitale zu verlegen, ist das für Dich denkbar?
„Überhaupt nicht. Eine Live-Performance ist energetisch, da fließen Emotionen, man spürt die Aura der Künstler, das funktioniert digital überhaupt nicht. Die Magie des Festivals passiert live, das spürt man einfach. Das kann man nicht ersetzen.“
Habt Ihr sonst Ideen oder Konzepte entwickelt, was Ihr anstelle des Festivals machen könntet?
„Ja, und das ist das Gute an dieser Krise. Man muss kreativ bleiben! Wir brauchen einfach immer irgendein Projekt. Und damit haben wir uns jetzt aus der Schockstarre befreit! Im Juli bieten wir Circus-Camps für Kinder an. Viele Familien fahren dieses Jahr nicht in die Ferien, viele Artisten haben keine Jobs – und Locations stehen leer. Diese drei Themen bringen wir zusammen und profitieren alle drei. Das ist eingeschlagen, wie eine Bombe, wir waren sofort ausgebucht! Wir haben tolle Unterstützungen von Stiftungen bekommen. Wir freuen uns riesig, dass wir jetzt wieder etwas tun können, noch dazu etwas, das so gut zu uns passt.“
Könnte das ein Projekt sein, das Ihr auch in Euren normalen Ablauf aufnehmt?
„Klar, wenn das gut läuft, machen wir das wieder. Das ist eine Chance, die aus dieser Krise entstanden ist. Auch andere Künstler haben gezeigt, dass sie kreativ sind und mit Krisen umgehen können. Ob Wald-Varieté oder Hinterhof-Show, es ist toll zu sehen, dass viele nicht in die Schockstarre fallen, sondern nach vorne schauen und überlegen, was sie jetzt machen können.“
Wenn im Mai 2021 das 12. Young Stage Circusfestival endlich stattfindet, habt Ihr doppelt so lange gewartet, wie sonst – lasst Ihr es dann doppelt krachen?
„Wir lassen es immer krachen (lacht). Aber wir sind natürlich nach zwei Jahren warten umso ‚heißer‘, endlich loszulegen. Emotionen, Herzblut, dafür stehen wir, und das wird nach dem langen Warten sicher noch intensiver! Ich freue mich so sehr auf das Live-Feeling, auf das Miteinander, das Zwischenmenschliche, das Feedback. Im Team, mit den Artisten, den Zuschauern. Weinen, Lachen, Zittern – deswegen mache ich das doch!“