„Wenn 300 Menschen klatschen, ist das einfach schöner“
Auf das Thema „Tiefschläge“ angesprochen, erinnerte sich Silvia Cabello vor knapp drei Jahren noch daran, wie ihr Theater einmal aufgrund eines Sturms kurzfristig geschlossen blieb. Heute lacht sie, wenn man sie darauf anspricht. Denn das, was ihre Branche jetzt durchmachen muss, ist kein vorbeiziehendes Tief. Sondern ein Tornado, der auch die Theaterbranche mit voller Wucht trifft. Wegen der Corona-Pandemie ist das Varieté et cetera, das Silvia Cabello vor knapp 30 Jahren gemeinsam mit ihrem Mann Ronny und dem Partner Jörg Richter gegründet hat, seit Monaten geschlossen, nur vier Mal durften die Schauspieler mit ihrem neuen Stück auf der Bühne stehen. Fast alle der mehr als 20 festangestellte Mitarbeiter sind in Kurzarbeit, viele „Freie“ stehen komplett ohne Auftrag da. Trotzdem ist Silvia Cabello guter Dinge. Kontaktlos und am Telefon haben wir mit ihr gesprochen – über die Krise, über ihr Leben im Theater, wie alles begann und wie alles weitergeht. Und es war ein bisschen so, als hätten wir uns mit Mundschutz getroffen: Die Mimik und die Reaktionen unseres Gegenübers konnten wir zwar nicht sehen. Aber spüren. Denn Silvia Cabello lässt sich von dieser Krise nicht unterkriegen und kann sehr wohl noch lachen – und zwar aus vollstem Herzen.
Silvia, Ihr habt vor 30 Jahren das Varieté et cetera gegründet. Den ein oder anderen Rückschlag habt Ihr wahrscheinlich schon einstecken müssen. Aber eine Krise wie die jetzige war bestimmt nicht absehbar – was macht Corona mit Euch?
„Natürlich gibt es immer mal Probleme. Wenn sich ein Schauspieler verletzt oder es mal wirtschaftlich nicht so gut läuft, dann ist das nicht leicht. Aber Corona ist etwas völlig anderes. Das bremst uns komplett aus. Wir dürfen ja gar keine Shows spielen, alles läuft auf Sparflamme. Wir verbinden Theater und Gastronomie, es trifft uns jetzt doppelt. Unsere Mitarbeiter sind in Kurzarbeit – nur die Techniker arbeiten noch und restaurieren und renovieren das Theater. Unsere Frühjahrsshow konnten wir nur vier Mal spielen. Die ganze Arbeit, die wir da reingesteckt haben, war umsonst. Die Premiere war so schön und kam so gut an, bei den nächsten drei Shows war die Stimmung wegen Corona schon gedämpft, dann war es ganz vorbei. Das war ein großer Schlag, vor allem für die Künstler – auch wenn wir da noch nicht absehen konnten, wie lange das am Ende wirklich alles dauern würde! Am 5. September ist unser erster Spieltag nach der Sommerpause, und daran halten wir jetzt fest.“
Was wird im September anders sein als vorher?
„Es wird natürlich Einschränkungen geben – wir haben eigentlich 302 Plätze, an unseren Tischen sitzen meistens drei fremde Paare zusammen. Das wird dann nicht mehr möglich sein. Wir mussten die Plätze auf 146 zurückfahren, es wird keine Pausen mehr geben, um die Schlange an der Toilette zu vermeiden. Gleichzeitig müssen wir es schaffen, dass Stimmung und Atmosphäre auch mit der Hälfte der Gäste so gut sind, dass sich das Publikum wohlfühlt, gemütlich zusammensitzt und einen tollen Abend bei uns verbringt. Da kann die Show noch so gut sein, auch das Drumherum muss stimmen – trotz Masken und Desinfektionsmittel überall. Sonst fühlt sich das Publikum wie im Ufo!“
Vielleicht gibt es ja Masken, die Abendoutfit-tauglich sind…
(Lacht lange und herzlich) „…Gute Idee! Mit Strass und Spitze! Aber die kann man dann halt nicht bei 60 Grad waschen.“
Was ändert sich noch, wenn Ihr wieder öffnen dürft?
„Wenn nur halb so viele Gäste kommen, bedeutet das auch, dass wir eigentlich doppelt so viele Shows spielen müssen. Außerdem wird die Nähe zu fremden Menschen und die Tatsache, mit vielen anderen nah zusammen zu sein, sicher erstmal ungewohnt bleiben. Die Menschen haben Angst voreinander und vor der körperlichen Nähe. Ich hoffe, sie verlieren irgendwann die Panik, sich anzustecken. Das einzige, was hoffentlich bleibt, ist, dass die Menschen auch nach Corona noch Händewaschen!“
Einige Theater bieten ihre Shows auch virtuell und per Livestream an. Kam das für Euch auch infrage?
„Nein, für uns war das nie eine Alternative. Viele Theater machen das ganz toll, was mich auch freut, aber Varieté lebt von der Live-Unterhaltung, dem echten Erlebnis. Das zu digitalisieren, geht eigentlich nicht. Und für uns war klar: Bevor wir was machen, was nicht perfekt ist, machen wir es gar nicht.“
Das Varieté ist geschlossen, es kommen keine Gäste. Wie verbringt Ihr Eure Tage im Moment?
„Langweilig wird uns jedenfalls nicht! Wir sind beschäftigt mit der Umstellung der Reservierungs-Situation, viele Gäste hatten ja schon gebucht. Wir brauchen einen neuen Sitzplan, ein neues Hygienekonzept, mehr Personal an den Eingängen für die neue Besucherlenkung, und und und. Da müssen wir auch erstmal Erfahrungen sammeln, wir werden sicher bei vielen Dingen noch merken, ob man es dann vielleicht noch besser machen kann.“
Was bedeutet diese Krise für die ganze Theaterbranche? Werden das überhaupt alle überstehen können?
„Es ist eine sehr schwere Zeit. Wenn man vorher schon Probleme hatte, wird man die Krise vielleicht nicht überstehen. Wenn alles gut lief, wird man es hoffentlich irgendwie schaffen. Die kleinen Häuser werden sehr zu kämpfen haben. Im Theater ist das mit der Bestuhlung ja noch einmal was Anderes als im Varieté. Ganze Reihen müssen dort teilweise freibleiben – und dann lohnt sich für manche der Betrieb einfach nicht mehr. Einige werden die ganze Saison aussetzen müssen, das ist oft noch das geringere Übel als mit dünn besetzten Reihen zu öffnen. Das ist schrecklich.
Es ist eine sehr schwere Zeit.
Was ist mit der Soforthilfe vom Staat? Inwieweit hilft Euch das?
„Wir haben einmalig die Soforthilfe bekommen. Das hilft schon sehr, ist aber bei einem Unternehmen wie unserem auch schnell aufgebraucht. Auch Kredite sind gut – zumindest, um die nächste Saison abzusichern. Sie helfen jetzt, belasten aber dafür später. Was sehr hilft, ist die Kurzarbeit. So sind die Hauptkosten, die Gehälter, aufgefangen und die Mitarbeiter abgesichert. Die Beantragung ging schnell und unproblematisch.“
Es gibt bestimmt eine Zeit nach Corona, aber auch eine Zeit davor. Ihr feiert übernächstes Jahr Euer 30-jähriges Bestehen! Damals seid Ihr als kleine Truppe mit Bauwagen und Zelt gestartet. War für Dich schon immer klar, dass Du ins Theater willst?
„Nein, ich hätte fast Mathematik studiert (lacht)! Dann bin ich während des Abiturs in Berlin aber – vielleicht auch wegen meinen spanischen Wurzeln – zum Flamenco gekommen und dabeigeblieben. Es hat mich fasziniert und gepackt. Ziemlich schnell war ich mitten in der Szene, hatte Auftritte und habe dann sogar eine Tanzausbildung gemacht. Flamenco ist einfach ganz besonders emotional, die Lebensart reißt mich total mit. Ich habe mich dann als Tänzerin beim Zirkus Roncalli beworben, war auf einer Tournee dabei und habe dort meinen Mann und die anderen Varieté et cetera-Gründer kennengelernt. Drei Jahre später haben wir ein paar Wagen und ein Zelt gekauft!“
Was war Euer Plan?
„Wir hatten eigentlich keinen (lacht). Wir waren sehr blauäugig. Unser Konzept war: Wir machen jetzt eine tolle Show, dann kommen die Leute schon. Das mit der Show hat auch gut geklappt, das mit der Werbung und dem Marketing weniger. Das mussten wir uns erstmal aneignen. Wir sind Künstler, keine Marketingexperten, wir standen ja alle auf der Bühne. Selbst der Begriff „Varieté“ war damals noch nicht etabliert. Es kamen Männergruppen, die sich wunderten, wo die leicht bekleideten Frauen sind. Und Eltern mit Kindern, die die Kamele gesucht haben.“
Ihr seid jahrelang quer durch die Republik getourt und irgendwann in Bochum sesshaft geworden. Euer festes Theater ist dort so etabliert, dass Du Anfang des Jahres sogar mit der „Goldenen Grubenlampe“ für Deine Verdienste um die Stadt ausgezeichnet wurdest. Dabei kommst Du eigentlich aus Berlin. Was hat Dir das bedeutet, wofür schlägt Dein Herz?
„Für beides. Seit ich vor 30 Jahren aus Berlin weg bin, ist dort vieles anders geworden. Ich mag es immer noch, aber ich fühle mich wie eine echte Bochumerin. Ich fahre gerne nach Berlin, bin aber froh, in Bochum zu leben. Dieser Preis war eine große Ehre. Eine Anerkennung, dass wir dazugehören und der Stadt guttun.“
Was hat sich aus Deiner Sicht in den letzten 30 Jahren verändert – damals gab es ja zum Beispiel noch nicht einmal Smartphones…
„Ich freue mich immer, wenn die Leute während der Show nicht aufs Handy gucken. Unsere Zuschauer sind aber normalerweise mit voller Aufmerksamkeit dabei. Das ist eben Varieté! Was mir aber auffällt: Selfies sind die neuen Autogramme! Keiner will mehr eine Unterschrift, jetzt werden nach den Shows halt Fotos mit den Künstlern gemacht.“
Abschließend – was würdest Du Dir für das nächste Jahr oder die nächsten Jahre wünschen?
„Ich wünsche mir, dass wir irgendwann wieder auf den Stand von vor der Krise zurückkommen. Dass wir wieder enger zusammenrücken können, unser Theater voller Menschen ist – bis auf den letzten Platz! Wenn 100 Leute klatschen, klingt das einfach nicht so schön, wie wenn 300 Leute klatschen. Und ich hoffe, dass wir dann auf diese Zeit zurückblicken und einfach sagen: ‚Ach ja, das war halt die Corona-Saison. Zum Glück ist sie vorbei.‘“