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Solo für Tim und Luzie

Natürlich liegt mir der blöde Tanten-Spruch auf den Lippen, als ich Tim und Luzie an ihrem dritten Schultag nach den großen Ferien in Berlin wiedertreffe: »Mann, seid ihr groß geworden!« Gut, dass ich mir das noch verbeißen kann. »Und hübsch!«, denke ich. »Wow!«

Seit 2011 besuchen wir die beiden regelmäßig in der Staatlichen Schule für Artistik in Berlin. 2011 wurden sie eingeschult – der erste Jahrgang, der schon mit der 5. Klasse startete. Jetzt heißt es Endspurt für die Artistenschüler. Im Frühling und Frühsommer 2020 werden die letzten theoretischen Prüfungen geschrieben, Anfang Juni 2020 ist dann die Artistik-Prüfung und eine Woche später die Zeugnis-Übergabe im Wintergarten.

Luzie hat mittleirweile den Pole für sich endeckt.

Luzie hat mittleirweile den Pole für sich endeckt.

Täglich sechs Regel-Schulstunden und dazu der Artistik-Unterricht in der Übungshalle – die beiden sind Leistungssportler par excellence. Ein Ziel fest vor Augen, konzentriert und fokussiert. Und ungeheuer wach.

Luzie hat sich von dem Gedanken, auch eine Duo-Nummer zu performen, verabschiedet. Sie hat nun zwei Acts: am Luftring und am Pole. Und ist mit beiden Herausforderungen zu Beginn des letzten Schuljahres fertig: »Ich habe echt Gas gegeben! Mir ist aufgefallen, dass viele in den Klassen vor uns total unter Druck standen die letzten Monate hier auf der Schule. Die Schulprüfungen, die Proben für die Absolventenshow – und dann war die eigene Nummer noch nicht völlig fertig… Das habe ich mir anders überlegt. Meine Nummern stehen bis auf ein, zwei Übergänge, an denen ich jetzt mit unserer Ballettlehrerin feilen kann. Ich habe mein gesamtes Equipment selbst gekauft. Kostüme, Profischminke – alles ist da. Ich kann mich auf die Details konzentrieren und auf die letzten Prüfungen. Das ist ein echt gutes Gefühl! Und ich bin so froh, den Pole für mich als Requisit gefunden zu haben. Zuerst fand ich es nur unglaublich anstrengend und plötzlich hat es Klick gemacht. Ich liebe die Arbeit am Pole und sie macht mich so selbstbewusst.«

Auch Tim hat eine Solo-Nummer. Erst mal nur eine! »Das liegt daran, dass BMX so schwierig ist. Ich will erst mal mit der einen Nummer völlig sicher sein und dann kann ich über eine zweite nachdenken«, so Tim, der in den ersten Schuljahren deutlich kleiner als Luzie war.

Seit 2011 begleiten wir Tim und Luzie durch ihre Schulzeit an der Artistenschule Berlin.

Seit 2011 begleiten wir Tim und Luzie durch ihre Schulzeit an der Artistenschule Berlin.

Er ist jetzt hoch gewachsen. »Ich habe ihm damals ans Herz gelegt, mit BMX anzufangen«, sagt seine Klassenlehrerin Claudia Arndt, »Auf dem BMX-Rad lassen sich nicht viele Artisten klassisch ausbilden, da wird er gute Chancen haben, gut gebucht zu werden«. Tims Choreografie ist ausgefeilt – ganz modern und auch mit Publikumsbeteiligung, mehr wollen wir hier nicht verraten.

Er ist noch auf der Suche nach der perfekten Musik. Man muss sie fühlen können und mit ihr in die Bewegungen gehen. Zu Musik, die man nicht spürt, kann man nicht perfekt performen, da stimmen Tim und Luzie überein. In den Ferien hat Tim jeden Abend von 20 bis 23 Uhr auf dem Parkplatz von einem Getränkemarkt geübt: »Vorher war es da viel zu trubelig, und im Sommer ist es ja lange hell.« Jetzt auf dem Hallenboden muss er umdenken – die neuen Reifen sind viel zu rutschig und er muss sie erst einfahren. Doch was wir sehen, ist große Klasse.

Die beiden haben Biss und Ehrgeiz, das merken auch die Lehrer. »Beide sind total fair, denken immer auch an andere und unterstützen sie. Diese soziale Einstellung möchten wir auszeichnen«, sagt Ronald Wendorf, der Künstlerische Leiter der Staatlichen Schule für Artistik Berlin. Und so sind beide eingeladen, die Schule bei einem Festival in Chile zu vertreten. Vier Schüler treten die 14-tägige Reise an, Tim und Luzie sind die einzigen Vertreter aus der Abschlussklasse. Und nur zehn Tage nach dem Trip nach Chile reist die gesamte Abschlussklasse nach Jakarta, um dort auf einem Festival ihre Show »Splash!« zu spielen.

Wir sind gespannt, was Tim und Luzie noch für uns bereithalten.

Wir sind gespannt, was Tim und Luzie noch für uns bereithalten.

Im Rahmen der Reihe »Chamäleon meets Artistenschule« zeigen jedes Jahr die Schüler aus dem achten Ausbildungsjahr der Fachrichtung Artistik, was in ihnen steckt, und präsentieren ihre erste eigene Show. In diesem Jahr sind sie so erfolgreich, dass sie damit in Indonesiens Hauptstadt eingeladen wurden. Und noch eine Institution der Circuswelt ist auf die Berliner Schüler aufmerksam geworden. Die Scouts des Cirque de Soleil sind von einigen der Schüler begeistert. Mit solch einem Engagement und einer weltweiten Tournee würde Luzies großer Traum in Erfüllung gehen. Tim dagegen liebt den Circus FlicFlac, und sein Traum ist ein Auftritt beim Circusfestival in Monte Carlo.

Wir fiebern mit. In den letzten Jahren sind alle Wünsche der beiden wahr geworden und es hat sich gezeigt, was man mit Mut, Ehrgeiz und viel, viel Training alles erreichen kann. Aus den Kindern Tim und Luzie sind zwei Erwachsene geworden, die wissen, was sie wollen; zwei starke Persönlichkeiten. Wir freuen uns für sie und mit ihnen und sind ungeheuer gespannt, was dieses letzte Schuljahr alles bringen wird.




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