Westbam legt Glossary im Magazin showcases auf
Gott ist kein DJ. Das memo-media-Magazin showcases nimmt sich dieser menschlichen Gattung, die im letzten Jahrhundert erfunden wurde, an. Mit dem Techno wurde der Discjockey in die Gilde der Künstler aufgenommen. Maximilian Lenz, aka Westbam, war dabei einer der Protagonisten. Nicht nur hautnah dabei, sondern mittendrin. Zuweilen legt der die Vinyl- und Polycarbonatscheiben aber heute auch beiseite und lässt die Technics-Laufwerke im Leerlauf drehen. Dann denkt der gebürtige Münsteraner nämlich über seine außerordentliche Karriere nach, über Anfänge und Zufälle. Zur Zeit nimmt er mit der Tastatur vorlieb und schreibt seine Autobiografie, die den Titel „Macht der Nacht“ tragen soll. Unter diesem Label zog in den Achtzigern Rainer Wengenroths Techno-Zirkus-Zelt nach Köln, Berlin, München oder Paris. Die Nacht ist die Tageszeit des DJs. Das Zelt war Westbams erste Station, vor tausenden zappelnden Ravern die Platten sicher auf den Stiften der Plattenteller abzusenken.
Handwerk hat goldenen Boden
Damit war es aber nicht mehr getan. Die Anfangszeiten à la Hase Cäsar reichten dem amüsiersüchtigen Publikum bei den Nachtwachen, die ganze Tage andauern konnten, nicht mehr. Es wurde „gescratcht“ mit den Ortofonnadeln bis zum Abwinken. Notfalls mit dem Ellenbogen. Zum Überblenden von Songs musste die nachlaufende Scheibe im Tempo angepasst werden. Das war echte Handarbeit und erforderte Feingefühl im Handgelenk. Mittlerweile gibt es Computereffekte zur Simulation. Was ein echter DJ ist, benutzt den Computer aber nur zum Produzieren und legt weiter händisch auf. Von Westbam ist ehrliche Arbeit zu erwarten. Anders als bei so mancher Model-DJane, die so tut als ob, dabei freilich gut aussieht, wenn sie ein wenig an den Equalizerknöpfen schraubt, in Wirklichkeit aber eine Mix-mp3-Datei vom Laptop abspult. Mehr Schein als Sein.
Mayday, Mayday
„Venez m’aider! (Kommt mir helfen!)“ hieß der Ursprung des internationalen Hilferufes in der Luftfahrt der 1923 ganz lautmalerisch eingeführt wurde. Das inzwischen geflügelte Wort wurde 1991 zum Namen eines Relaunches für den „Tanz in den Mai“, den die Nachtschwärmerwelt so noch nicht gesehen und gehört hatte. Dabei war die Erstauflage im Dezember 1991 als Hilferuf für den Sender DT64 gedacht, bei dem Marusha eine wöchentliche Sendung hatte. Die Idee zur Beistands-Party kam von Fabian Lenz (DJ Dick) und fand schnell Unterstützung durch seinen Bruder Maximilian. 1993 ging es dann erstmals zur Walpurgisnacht in die Dortmunder Westfalenhallen. Die Wintermayday gab es noch bis 1996. Die blieb aber in Berlin. Westbam war bei allen 60 weltweiten Mayday-Events dabei. Vom Allerersten 1991, bis er im Februar 2014 wegen unüberbrückbarer Differenzen mit dem Veranstalter i-Motion seinen Ausstieg bekannt gab. Eventgeschichte!
Gegenstand der Kunst
Der teuerste Fotograf der Welt, Andreas Gursky, nahm das Motiv der Mayday-Westfalenhalle und türmte es in einer Montage zu einem Hochhaus der Raver auf. Das plakatwandgroße Bild wurde auf vielen Ausstellungen herumgereicht. Gursky versteckte sich zusammen mit dem Schriftsteller Rainald Goetz und Westbam in diesem Bild namens „Mayday V“. „Techno-Partys dehnen den Moment auf eine ganze Nacht. Mit meinen Bildern arbeite ich auch gegen den Moment, ich dehne die Zeit“, sagte er mal der Zeitung ZEIT.
Glossary in showcases 2014-04 “Licht- & Ton-Künstler”
Ich bin Westbam noch in seinen Anfangszeiten begegnet, als ich bei den „Macht der Nacht“-Eröffnungen war, auf den sich auch zuweilen der Toten-Hosen-Manager Jochen Hülder aus der alten Punkfraktion tummelte, in der Westbam ja seine Wurzeln hatte. Oder der Radio-DJ Alan Bangs, der immer das Neue suchte. Die Luft hat in den Zelten vibriert, wenn Westbam aufgelegt hat. Die Schallwellen wurden sichtbar. Es war eine Clique aus NRW, die den Techno seinerzeit großveranstaltungstauglich machte. Immer dabei die später ermordete Liverpoolerin, Beatles-Sammlerin und der gute Geist der „Macht der Nacht“, Monika Byrne. Die trug das abgelegte Handy von Westbam auf. Das liegt jetzt wohl in der Asservatenkammer der Polizei. Ich musste Max nicht groß überreden, das Glossar für die aktuelle Ausgabe der showcases zu schreiben und Einblick in seine Zunft zu gewähren. Irgendwie hält man doch immer noch zusammen: „You’ll never walk allone!