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„Unser neues Konzept wird das neue Normal“

Eigentlich, erzählt Nicole Stegmann, die seit 2015 für das Gesamtkonzept der LOCATIONS Messen verantwortlich ist, liebt sie das Messegeschäft wegen der besonderen Atmosphäre, die dort herrscht. Dass Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen sich begegnen, gute Gespräche führen, eng zusammenkommen. Also genau das, was Corona uns jetzt erstmal genommen hat. Zwei Locations-Messen wurden wegen der Pandemie abgesagt bzw. verschoben, Mitarbeiter mussten in Kurzarbeit, Einnahmen gab es keine. Mit einem aufwändigen, sehr durchdachten und innovativen Konzept kurbelt Nicole Stegmann das Geschäft jetzt aber wieder an – und kombiniert für die Veranstaltungen ab Oktober zwei Welten miteinander: Im hybriden Modell können Besucher von zu Hause am Bildschirm über die Messe spazieren und mit Ausstellern plaudern; parallel findet vor Ort eine Präsenzveranstaltung statt. Zwar mit weniger Besuchern und ohne Umarmungen. Aber mit Sicherheit mit einer ganz besonderen Atmosphäre, so wie Nicole Stegmann es schätzt.

Frau Stegmann, Sie haben die Eventbranche schon relativ früh für sich entdeckt und auch studiert – was hat Sie daran fasziniert?

„Ich habe schon früh im Gastrobereich ausgeholfen und dort bei Caterings gemerkt, dass mir das einfach liegt. Das Organisieren, die Menschen, und so weiter. So kam ich zu meinem Studium Messe-, Kongress- und Eventmanagement und habe im Zuge dessen einige Praktika in unterschiedlichen Bereichen gemacht, wo ich gemerkt habe: Mein Herz schlägt für Messen, das soll mein Kernthema sein. Ich schätze die Atmosphäre dort sehr, finde es spannend, dass Menschen aus so vielen Bereichen zusammenkommen, dass man da einen Marktplatz erschafft. Messen sind eine tolle Basis für Gespräche. Die Vorbereitung in den Messehallen, die Stimmung am letzten Aufbautag und wie es morgens vor der Öffnung der Türen aussieht, das liebe ich!“

Sie haben seit 2015 die Gesamtleitung der LOCATIONS Messen inne (das Konzept wurde 2008 von Michael Sinn gegründet, Anm. d. Red.). 2020 war alles anders – wie haben Sie das „Corona-Jahr“ erlebt?

„Im Nachhinein finde ich, dass wir eigentlich unglaubliches Glück hatten. Denn im März konnten wir die LOCATIONS Leipzig noch durchführen, bevor ein paar Tage später alles gestoppt wurde. Wir haben Blut und Wasser geschwitzt, aber die Messe fand statt, wir hatten nur wenige Absagen. Danach ging es rasant bergab mit der Branche. Zwei weitere Messen im Mai und Juli mussten wir wegen des Veranstaltungsverbots in den Herbst verschieben, auf Oktober und November.“

Ist das LOCATIONS Konzept nicht eigentlich doppelt Pandemie-gebeutelt? Schließlich ist es nicht nur die Messe an sich, deren Durchführung unter Corona-Bedingungen problematisch ist. Auch die Aussteller sind mit ihren Produkten, also Locations und Veranstaltungs-Orten, selbst direkt betroffen.

„Das ist richtig, denn vielen Veranstaltern geht es wirtschaftlich gerade sehr schlecht. Aber das war für uns gerade ein Antrieb, die Messe so schnell wie möglich wieder auf die Beine zu stellen! Wir wollen uns nicht wegducken, sondern eine Plattform bieten und den Veranstaltungshäusern die Möglichkeit geben, sich zu zeigen – gerade jetzt! Viele haben auch neue Konzepte als Plan B erarbeitet, die sie vorstellen möchten, viele wollen und müssen die Chance nützen, sich zu präsentieren. Niemand sollte jetzt den Kopf in den Sand stecken! Auch wirtschaftlich gesehen. Dafür sehen wir uns als Plattform.“

Wann wurde klar: Auch wir brauchen einen Plan B für den Herbst? Und wie sieht dieser Plan konkret aus?

„Als wir im Sommer gemerkt haben, dass der Virus nicht, wie zunächst angenommen, in der warmen Jahreszeit von selbst wieder verschwindet, wurde klar, dass wir im Herbst etwas ändern müssen. Viele Konzerne haben Dienstreisen bis Ende des Jahres verboten, Veranstaltungen ‚normal‘ zu planen, ist schwierig, da hilft auch kein Hygienekonzept. Wir brauchten eine hybride Lösung. Ich fing an, mir verschiedene Online-Messen anzugucken und war jedes Mal enttäuscht und frustriert. Das waren Infoseiten, keine Erlebnisse. So etwas wollte ich auf keinen Fall! Wenn das die Messe der Zukunft ist, dachte ich mir, ist das nicht mehr meins.“

Was haben Sie also gemacht?

„Gemeinsam mit tollen Partnern haben wir eine Lösung erarbeitet, die einfach mehr Spaß macht, als das, was es schon gab. Mit der Event-Visualisierung von allseated haben wir ein hybrides Konzept auf die Beine gestellt, das am 8. Oktober Premiere hat. Das heißt, die Messe findet mit echten Besuchern statt, Aussteller sind ganz normal vor Ort, Besucher wandern über die Messe und knüpfen Kontakte. Das Besondere: Das alles passiert zeitgleich auch digital. Es gibt nichts in der einen Welt, das es in der anderen Welt nicht auch gibt. Die Messe hat einen digitalen Zwilling, dafür wurden die Hallen mit einer speziellen Kamera aufgenommen und in einen, quasi nachgebauten, 3D-Raum übertragen. Die digitalen Besucher sehen das Gleiche wie diejenigen, die vor Ort sind. Man läuft durch die Veranstaltungsräume, trifft – ohne Termin oder lange Listen – seine Ansprechpartner und kann direkt über ein virtuelles Meeting Gespräche führen. Als ob man wirklich am Messestand vorbeiläuft! Über Webcams sieht man, was gerade am Stand passiert, kann Vorträge und Workshops streamen und verpasst nichts, wenn man nicht vor Ort ist. Das Besondere daran: Wir können so viel mehr Besucher auf den Messen haben als je zuvor. Denn niemand muss mehr eine weite Reise auf sich nehmen, um die komplette Messe mitzuerleben.“

Was ist vor Ort anders?

„Wir haben natürlich ein umfangreiches Hygienekonzept. Und müssen darauf achten, dass nicht alle Besucher gleichzeitig in einem Raum sind, dazu gibt es KI-gestützte Kameras in jedem Raum, ein neues Ticketing-System, Maskenpflicht, Klebepunkte an den Ständen für die Abstände. Aber daran ist mittlerweile ja jeder gewöhnt.“

Umarmungen fallen jetzt weg, das wird schwer.

Sie haben erwähnt, dass Sie an der Messe vor allem die Atmosphäre mögen. Wie kann man mit einem hybriden Konzept auch eine besondere Stimmung erschaffen und das Miteinander in den Fokus setzen, das Messen ausmacht?

„Wir müssen uns schon darauf einstellen, dass es etwas anders wird. Das fängt bei der Begrüßung an. Umarmungen sind in unserer Branche nichts Seltenes, das fällt jetzt weg und das wird schwer. Man begrüßt sich jetzt eben mit einem Lächeln! Aber: Wir sind nach der langen Zeit so froh, dass wir uns überhaupt wiedersehen und vor Ort austauschen können, das persönliche Treffen schätzen wir alle nach dem Lockdown mehr, denn je. Jeder Austausch von Angesicht zu Angesicht ist wertvoll, das ist einem jetzt erst richtig klargeworden. Man muss eben vorsichtiger sein, denn wir wollen ja auch nichts riskieren und respektieren die Vorgaben. Aber das gute Gefühl entsteht durch den persönlichen Kontakt.“

Wie haben Sie sich durch den Staat unterstützt gefühlt, und was bedeuten Initiativen wie „#AlarmstufeRot“ für Sie?

„Die Unterstützung hat uns sehr geholfen, wir hatten keine Einnahmen und haben Kurzarbeit beantragt. Das war elementar, ohne diese Hilfen wären wir nicht mehr da. Es ist eine extrem schwierige Zeit. Denn die Arbeitsbelastung ist hoch, gerade bei neuen Konzepten, die Einnahmen aber nicht. Initiativen wie ‚AlarmstufeRot‘ (Bündnis zur Rettung der Veranstaltungswirtschaft, Anm. d. Red.) finden wir richtig und wichtig und unterstützen sie auch, wo wir können. Die Veranstaltungswirtschaft hat keine Lobby so wie andere Branchen, die Politik hat uns nicht auf dem Schirm. Daran müssen wir arbeiten. Schwierig ist in Deutschland auch, dass die Regeln so unterschiedlich sind. Wenn man als Veranstalter in verschiedenen Bundesländern unterwegs ist, ist es ein Kraftakt, sich darauf einzustellen, was man wo überhaupt machen kann und darf. Ein Hygienekonzept, das in einem Bundesland funktioniert, kann woanders durchfallen. Uns wurde länderpolitisch sogar schon ans Herz gelegt, Messen komplett abzusagen. Aber wir haben uns fürs Kämpfen entschieden!“

Zurück zum hybriden Konzept der LOCATIONS Messen: Ist das Ihr „Plan B“ – oder wird das das neue „Normal“?

„Beides! Es war ein Plan B, die Situation hat uns dazu gezwungen, uns weiterzuentwickeln. Und das war auch gut so. Ich bin sehr zufrieden mit dem neuen Konzept, das bei Weitem keine Notlösung ist, sondern richtig Spaß macht. Deswegen wird uns das auf jeden Fall auch weiterhin begleiten. Die Tatsache, dass digital noch mehr Besucher teilnehmen können, ist ein so großer Mehrwert, der auch nach Corona wichtig bleibt. Trotzdem freuen wir uns riesig darauf, wenn wieder viel mehr Menschen live an den Veranstaltungen teilnehmen dürfen.“

Was wünschen Sie sich noch für dieses Jahr – und für die Zeit nach Corona?

„Ich wünsche mir, dass von Seiten der Politik Signale kommen, dass von Seiten der Medien Signale kommen, keine Panikmache, sondern konstruktiv zu überlegen: Wie können wir die Branche wieder ankurbeln? Überlegen, was möglich ist, anstatt eines Berufsverbotes, positiver auf die Dinge blicken. Besseren Support, einheitlichere Regelungen. Nicht einfach pauschal zu sagen: Veranstaltungen sind böse!, sondern auf die jeweilige Veranstaltung schauen und das jeweilige Risiko prüfen. Die Branche muss wieder zum Laufen gebracht werden. Denn der Mut in der Branche ist ja da! Jeder, der heute eine Veranstaltung plant, ist mutig. Und diesen Mut muss man belohnen!“

 

Nicole Stegmann

Nicole Stegmann