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Thomas Pigor über Musikkabarett: Ach Kinder!

Musikkabarett, ach Kinder, das ist wieder eine dieser Schubladen! Wieder einer dieser Begriffe, über den man sich streiten und endlose Debatten führen kann à la »Ist das Musikkabarett oder ist das nur Kleinkunst oder gar schon Chanson?« In der Praxis sieht es doch so aus: Künstler* machen die Kunst, die ihnen liegt und die sie für richtig halten. Am Anfang eines Programms steht doch nicht die Überlegung: Was ist Musikkabarett, wo sind die Grenzen, und welche Regeln gilt es zu beachten*?

Man muss sich zwar irgendwann selbst einordnen, spätestens, wenn man eine Genrebezeichnung auf sein Plakat schreiben muss, aber diese Einordnerei erfolgt nur unter Zwang. In ihrer Not formulieren dann so manche im Pressetext: »Er, sie oder sie passen in keine Schublade…«, »…sitzen zwischen allen Stühlen.« Naja.

ERWARTUNGEN

Gefressen habe ich jene Journalisten, die mit ihren Kategorien eigene, präzise Erwartungen verbinden und die sich dann in ihren Rezensionen darüber beschweren, wenn die Show nicht diesen Erwartungen entspricht. Wir haben versucht, diese Falle zu umgehen, indem wir eigene Begriffe erfunden haben: Salon Hip Hop oder Cool Cabaret. Das löst zwar Assoziationen aus, aber wir entgehen so den Definitionsfallen der Ober-Erbsenzähler.

Bei aller Unschärfe, was macht Musikkabarett jetzt wirklich aus? Was ist uns gemeinsam, auf der Spielwiese zwischen Hagen Rether und Hans Liberg? Zwischen Anna Mateur und Martina Schwarzmann? Zwischen Sebastian Krämer und den Missfits?

VERSTÄNDLICHKEIT

Ich denke, eine Gemeinsamkeit ist, dass wir nicht zu den »Prima la musica«-Genres gehören. In der Oper oder im Pop ist der Text häufig zweitrangig oder auf Englisch oder beides. Die Stimme wird als Instrument behandelt*. Das spiegelt sich wider in der Art zu texten. Popmusik verlangt eine gewisse Einfachheit, Klarheit, Sanglichkeit*, was gar nicht so leicht herzustellen ist, wenn es nicht hakeln soll: wenig Silben, dazu silbengenau von Strophe zu Strophe und eine klare Botschaft, die auch Sechzehnjährige verstehen*.

Im Musikkabarett darf man sich gewagte Spielereien und Brüche erlauben, man darf Fremdworte benutzen, und die Silben-Polizei hat Feierabend. Wir dürfen alle Musikstile verwenden, verhunzen, verjuxen, auch eine stilistische Geschlossenheit braucht es nicht, denn das Wort und die Performance halten alles zusammen. Die Unterschiede zu den reinen Musik- Genres spiegeln sich aber auch am Mischpult wider: Im Musikkabarett ist die Stimme nicht in den Sound eingebettet, sondern sie steht klar obendrüber. Textverständlichkeit über alles*.

REINQUATSCHEN

Eine weitere Charakteristik des Musikkabaretts ist, dass der Individualstil stärker ausgeprägt ist als anderswo. Die Art zu singen, die Art zu texten, die Art, Songs zu präsentieren – unter den Kollegen herrscht eine Bandbreite, die sehens- und hörenswert ist. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass viel weniger Leute reinquatschen als in den Genres mit Produktionsapparaten. Keine Produzenten, keine Redakteure, keine Intendanten, keine Komponisten von außen, die alle meinen zu wissen, wie es geht und die dazu neigen, Kanten abzuschleifen und mit ihren Bedenken und Ängstlichkeiten einen Sog in Richtung Konformität erzeugen. Der Kabarettist ist frei, solange er nicht im Fernsehen auftritt, und niemand steht zwischen ihm und seinem Publikum. Oft sind Textautor, Komponist und Interpret ein und dieselbe Person.

MUSIKKABARETT – DIE KÖNIGSDISZIPLIN

Und im Unterschied zu den reinen Wortkünstlern* haben wir Musikkabarettisten auch noch die ganze Formenpalette des Musiktheaters zur Verfügung: Melodie, Rhythmus, Lautstärken- und Tempovariationen. Den Wechsel vom Satirischen ins Poetische. Wir arbeiten mit Licht, Kostüm und Bühnenbild*, wir dürfen sogar tanzen! Die Grenzen zur Show sind fließend, wir dürfen alles, solange es uns und dem Publikum Spaß macht. Und wir müssen uns nicht mal ernst nehmen!

Gibt es eine direktere Umsetzung des künstlerischen Willens, gibt es größere künstlerische Freiheit – und das bei einer riesigen Auswahl an Ausdrucksmitteln – als im Musikkabarett? Für mich ist Musikkabarett die Königsdisziplin!

*Es gibt natürlich auch Ausnahmen.

Musikkabarett Thomas Pigor

Gemeinsam mit Benedikt Eichhorn verwandelt Thomas Pigor alles in Musik.

Über den Autor Thomas Pigor

»Pigor singt – Eichhorn muss begleiten«, so heißt das Erfolgsrezept, mit dem Thomas Pigor und Benedikt Eichhorn seit 1995 touren. Egal, ob es um maulende Rentner geht, um Uli Hoeneß oder schmerzhafte Zahnwurzelbehandlungen, alles verwandelt dieses Duo in Musik und macht sogar die Philosophie von Martin Heidegger tanzbar. Dabei ist Thomas Pigor eigentlich gelernter Chemiker. In dem Beruf hat er aber nie gearbeitet. Er ist Stammgast in der Berliner Bar jeder Vernunft und er komponiert und textet für den SWR seit Jahren das zeitgeschichtliche »Chanson des Monats«.