Grenzen und Werte – Ein Interview mit Sabrina Zwach
Der Schauspieler Ron Iyamu wurde am Düsseldorfer Schauspielhaus rassistisch behandelt. Der bekannte Dramaturg Bernd Stegemann sprang dem jungen Ensemblemitglied als fachkundiger Theatermann von außen nicht etwa zur Seite, sondern stellte in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sogar dessen künstlerische Fähigkeiten infrage. Die Dramaturgin Sabrina Zwach gehörte zu den Initiator:innen einer öffentlichen Entgegnung, der sich in kürzester Zeit über 1.400 Unterstützer:innen anschlossen. showcases sprach mit der Theaterschaffenden, die den Kulturbetrieb mit Engagements an der Volksbühne Berlin, dem Berliner Ensemble, dem Burgtheater oder der Deutschen Oper, aber auch aus dem freien Theater seit 30 Jahren kennt, über die strukturellen Probleme und was sie bedeuten.
Ich habe den Eindruck, es muss in jeder Generation neu besprochen und verhandelt werden, was zivilisatorisch akzeptiert ist und was nicht. Deshalb empfinde ich es wie zuvor bei der MeToo-Debatte als eine notwendige Debatte, auch über Rassismus zu reden.
Sabrina Zwach: Absolut, es geht um moralische und ethische Grenzen und Werte und die sind eben informell und nicht in irgendeinem Buch festgeschrieben. Die muss jede Beziehung, jede Gesellschaft und jede Zeit wieder aushandeln. Wir reden gerade darüber, wie wir als Gesellschaft besser klarkommen als bisher. Das finde ich lohnenswert.
Eigentlich müsste die Kunst- und Kulturszene die Zunahme von Diversität doch begrüßen.
SZ: Ja, es gibt ja auch Bereiche wie zum Beispiel die Oper. Als ich zum ersten Mal in der Oper gearbeitet habe, habe ich mit den Ohren geschlackert: Da herrscht ein solch selbstverständliches Miteinander unterschiedlichster Nationalitäten, Ethnien und Kulturen. Ganz unterschiedliche Lebenswirklichkeiten und Herkunftsländer. Da ist es selbstverständlich, dass man zusammen und gemeinsam arbeitet, genau wie in der bildenden Kunst oder in der Musik. Im Schauspiel dagegen haben wir deshalb eine spezielle Situation, da es sprachdominiert bzw. sprachbasiert ist. Im Schauspiel tut man sich da viel schwerer als in anderen Kunstbereichen, ein Abbild der Gesellschaft eben in dieser Institution darzustellen. Wenn sich das Abbild der Gesellschaft auf die Institution überträgt, dann finde ich das ganz wichtig, dass sich die Diversität überall niederschlägt, auch in der Leitung und nicht nur bei den Reinigungskräften.
Welches Instrumentarium bräuchten wir denn, damit das besser läuft? Brauchen wir, so wie in den 80-er Jahren in allen Körperschaften Gleichstellungsbeauftragte installiert wurden, jetzt Diversitätsbeauftragte? Oder sind Kultur und Kunst nicht in der Lage, das selbst auszuhandeln?
SZ: Ich glaube, mit den Beauftragten erreichen wir gar nichts, weil wir da etwas an eine andere Stelle abdelegieren und dann glauben, damit hätte es sich. Wir müssen gemeinsam Verantwortung übernehmen. Ich bin überhaupt kein Fan von diesen Feigenblattensembles, die gerade landauf, landab entstehen, wo man sagt, man müsse jetzt noch reihenweise Personen mit Migrationshintergrund besetzen. Und zwar damit das Ensemble nicht so rein weiß dasteht, sondern dass auch internationale Tupfer gesetzt werden. Das finde ich total verlogen und falsch und da würde ich nicht mitgehen. Es gibt ja Gesellschaften, die viel diverser als die deutsche sind.
Wie müssen sich Kultur und Kunst verändern?
SZ: Für mich sind das so zwei Dinge: Erstens muss Kunst Kunst bleiben dürfen. Und die Wirklichkeit muss auch die Wirklichkeit sein. Da herrschen andere Gesetze der Schwerkraft. Das muss man klar sehen. Kunst ist ein immer schon dagewesenes, ganz wichtiges Regulativ in der Diskussion mit dieser Wirklichkeit. Was das Zweite angeht, kann ich nur über Theater sprechen, weil ich die Organisation, Leitung und Strukturen in den anderen Bereichen zu wenig kenne. Ich finde, dass man dem deutschen Stadts- und Staatstheater das Feudalherrschaftliche, das ja tatsächlich aus der Feudalzeit kommt, immer noch anmerkt. Es geht gar nicht darum, dieses deutsche Stadts- und Staatstheater zu bashen, ich liebe das natürlich. Es gibt unglaubliche Möglichkeiten zu arbeiten und unglaubliche künstlerische Fähigkeiten, die da zusammenkommen. Ich finde nur, dass die Leitungsstrukturen dieser Häuser überholt sind, wenn es da nur einen Mann ganz oben gibt, der alles entscheidet und womöglich auch noch Regisseur ist. Er hat dann auch noch die ästhetische Prägung und durch dieses Nadelöhr muss die ganze Institution durch. Dieses Feudalherrschaftliche, das macht diese Institution nicht mehr zeitgemäß. Es wäre wahnsinnig bereichernd und wichtig, wenn in der künstlerischen Leitung nicht nur Deutsche aus bildungsnahen Herkunftsfamilien säßen. Das würde aus dem Theater eine andere Institution machen und diese prägen.
Danke für das Gespräch.