Rimini Protokoll: Die Evolution des Theaters
Das Künstlerkollektiv »Rimini Protokoll« zeigt mit seinen interaktiven und performativen Stücken, wie gelungene Kommunikation im 21. Jahrhundert aussehen kann. Prozesse, die sich bei Events hinter verschlossenen Türen abspielen, kann man nun in der ersten Ausstellung des Regie-Trios in Berlin nachvollziehen.
Stefan Kaegi, Helgard Haug und Daniel Wetzel sind ein Künstlerteam, das in den Bereichen Theater, Film, Hörspiel und Installation seit 2002 unter dem Label Rimini Protokoll firmiert. Mit Rimini Protokoll hat das Theater tatsächlich eine Evolution durchgemacht, denn ihre richtungsweisenden Regie-Konzepte, bei denen »Experten des Alltags« zu Wort kommen oder 650 Zuschauer zu Delegierten-Darstellern einer vorab simulierten »Welt-Klimakonferenz « werden, ermöglichen neue Sichtweisen auf die Wirklichkeit. Ob Rimini Protokoll mit repräsentativ ausgewählten Bürgern »100% Stadt« inszeniert oder der komplette Daimler-Konzern im eigenen Bühnenbild agiert – immer ist Interaktion der Katalysator für Herausragendes. 2011 wurden Rimini Protokoll für ihr Gesamtwerk mit dem Silbernen Löwen der 41. Theaterbiennale Venedig ausgezeichnet.
Rimini Protokoll lässt Laiendarsteller Bundestagssitzung nachspielen
Wie Alltagswirklichkeit bei Rimini Protokoll neu aufbereitet und deren Rezeption so nachhaltig verändert wird, kann man aktuell in einer Ausstellung in Berlin Kreuzberg erleben. In den Räumen von Praxes Center for Contemporary Art erhält der Besucher durch wechselnde Ausstellungsmodule und Live-Aktivitäten einen Einblick in vier Arbeiten der letzten Jahre. Eine davon ist das Stück »Deutschland 2«, bei dem das Künstlerkollektiv in der Theaterhalle Bonn-Beuel live die Bundestagssitzung vom 27. Juni 2002 mit Laiendarstellern kopiert. Auf fünf Monitoren wird gezeigt, wie sich Menschen für die Rolle des Politikers bewerben, den sie dann später in der Performance leicht zeitversetzt zu der realen Bundestagsdebatte nachsprechen werden. Die endgültige Performance folgt den Gesetzen der Quantenphysik, wo der Beobachter auch immer das zu beobachtende Objekt verändert. Die subtile Verschiebung der Wirklichkeit lässt diese umso heller aufleuchten.
Wie Rimini Protokoll Menschen und Ereignisse aus ihrem Alltagskontext heraushebt und auf diese Weise übergroß sichtbar macht, ist hoch spannend, auch deshalb, weil das interaktive Moment all dieser Inszenierungen gleichzeitig deren Fallhöhe markiert. Im Gegensatz zur Eventbranche, die sich oft leider nicht zutraut, einen Ball hoch in die Luft zu werfen und wieder aufzufangen. Deshalb hält sie den Ball flach und wagt nur wenig. Die Ergebnisse werden dadurch vorhersehbar. Wirklichkeit ergebnisoffener zu kommunizieren, könnte ein Ziel sein, denn die Botschaft ist wie ein fragiler Schmetterling, den man keinesfalls aufspießen sollte, sonst fliegt er nicht mehr.
Hausbesuch Europa konfrontiert die Individualität einer Privatwohnung mit der europäischen Idee
Die Ausstellung »Rimini Protokoll« ist in drei Kapiteln noch bis zum 13. Juni 2015 in Berlin zu sehen. Berliner Bürger haben sogar die Möglichkeit, sich die aktuelle Aufführung von Rimini Protokoll nach Hause einzuladen. Für »Hausbesuch Europa« sucht das Künstlerkollektiv Privatwohnungen und Gastgeber in Berlin, an deren Tischen sich bis zu 15 Personen versammeln können. Dort soll die europäische Idee dann mit der Individualität und Biografie einer Privatwohnung konfrontiert werden. Auch diese Versuchsanordnung scheint jede Menge Raum für anregend Unvorhergesehenes zu bieten.
Rimini Protokoll entnimmt der Wirklichkeit Alltagsproben und legt diese inszenatorisch unter das Mikroskop. So schön kann das Schürfen von Erkenntnis sein! Die Eventbranche hat das Universum gerne aufgeräumt, doch bei den Arbeiten von Rimini Protokoll wird deutlich, wie mitreißend und spektakulär es ist, wenn man dem Zufall und der Spontaneität Raum gibt und Prozesse zulässt.