Volker Bertelmann_© NinaDitscheid (Custom)

Erheb dich, Seele!

Volker Bertelmann alias Hauschka ist ein international gefeierter Pianist, der auf einem mit Kronkorken, Filzkeilen oder Plastikfolien präparierten Klavier faszinierende Klangwelten erschafft. Mit seinem aktuellen Album »A Different Forest« lockt er seine Zuhörer nun in einen neuartigen Klangwald. Für seine Filmmusiken wurde er bereits mit einer Oscarnominierung und einer Golden-Globe-Nominierung geehrt.

Ungewöhnliche Klänge erfordern ungewöhnliche Maßnahmen: Sicherlich findet man Alufolie, Tischtennisbälle und Tic-Tac-Dosen auch in manch unaufgeräumter Schublade. Bei Hauschka jedoch wird durch sie jeder Flügel zu einer Klang-Wunderkammer. Einmal im Instrument platziert, beginnen die Dinge dort ein Eigenleben.

Bei Konzerten lässt Hauschka sein Publikum alle Handgriffe am Flügel mitverfolgen.

Bei Konzerten lässt Hauschka sein Publikum alle Handgriffe am Flügel mitverfolgen.

An einer Schnur hängende Kronkorken fangen an zu vibrieren, erzeugen einen tamburin-ähnlichen Sound und da Vibration nicht steuerbar ist, spielt nun der Zufall mit. Diesen baut Hauschka gerne in sein Spiel ein, denn jedes seiner Konzerte soll auch für ihn eine klangliche Entdeckungsreise sein, die er gemeinsam mit dem Publikum antritt. Der 53-jährige Pianist spielt nicht nur auf dem Klavier, er spielt mit dem Klavier und dies gelegentlich auch mit großem Orchester. Dabei ist das Instrument dem Publikum meist so zugewandt, dass es alle Operationen am offenen Flügel verfolgen kann.

Er selbst beschreibt seinen Stil so: »Meine Musik ist wie ein Highspeed-Zug mit offenem Fenster.« Durch dieses Fenster dringen auch nicht-melodiöse Geräusche ans Ohr der Zuhörer: ein leises Knistern oder Rauschen, fremdartige und überraschende Klangreize wie grandiose Versprechen auf Kommendes, die sich mit der Klaviermusik zu einem mitreißenden Sound verbinden, der das Leben und den Augenblick feiert. Dabei benutzt er sein Piano als Rhythmusinstrument und setzt seine grandiosen Improvisationen auf geloopte Klangpattern, die auf einen fernen Punkt zuzusteuern scheinen. In rasender Geschwindigkeit lässt seine Musik innere Landschaften vorbeiziehen und am Ende eines Hauschka-Konzerts ist man weit gereist.

Seine eigene Lebensreise begann 1966 in Ferndorf im Siegerland. Dort wuchs er mit seinen Eltern – der Vater war Prokurist, die Mutter Hausfrau – als zweitjüngstes von sechs Kindern auf. Im Hause Bertelmann gab es kein Klavier. Das änderte sich, als er neun war und in seiner Kirchengemeinde ein Chopin-Klavierkonzert gespielt wurde, das er gemeinsam mit seiner Mutter besuchte. »Dieses Stück schlug bei mir ein wie ein Blitz.«, sagt Hauschka und verspürte sofort den tiefen Wunsch, dieses Instrument zu erlernen. Mit Elf kam er auf die Idee, Reißzwecke in die Filze seiner Klavierhämmer zu drücken und mit dem Klang seines Instruments zu experimentieren. Der Rest ist Musikgeschichte.

Volker Bertelsmann alias Hauschka erschafft am Flügel ganze Klangwelten.

Volker Bertelsmann alias Hauschka erschafft am Flügel ganze Klangwelten.

Zunächst versuchte er allerdings noch, sich selbst für ein bürgerliches Leben zu präparieren. Er studierte ein bisschen Medizin und etwas BWL, doch seine musikalische Leidenschaft duldete keine Verleugnung. Seitdem hat er über 1.000 zumeist frei improvisierte Solokonzerte gegeben und 16 CDs veröffentlicht, darunter sowohl Soloproduktionen als auch Kooperationen mit anderen Künstlern. Als gefragter Film- und Fernsehkomponist erhielt er 2017 für seinen Soundtrack zu »Lion« eine Oscar- und eine Golden-Globe-Nominierung. Seit 2018 ist er Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences und darf nun selbst Kollegen für Oscars nominieren. Wenn Hauschka am Ende eines Konzerts seinen Flügel von allen Klangnestern befreit, Holzstäbe und Gaffa-Tape neben das Instrument fallen lässt, hat das etwas von einem genialen Sound-Striptease. Auf seinem aktuellen Album »A Different Forest«, inspiriert durch Naturerfahrungen und Waldspaziergänge seiner Kindheit, verzichtet er auf alle klangverfremdenden Objekte. Das Album, das er als eine Rückbesinnung auf seinen musikalischen Anfang bezeichnet, hat er auf einem präparationsfreien Klavier eingespielt und es lohnt sich, ihm auch in diesen Klangwald zu folgen.

Ob als Solist oder mit Orchester, stets eröffnet der Tonpoet seinen Zuhörern großartige Klangräume, die es ihnen ermöglichen, an einem gewöhnlichen Wochentag durchs Universum zu spazieren oder wohin sie das durch Hauschka ausgelöste Synapsen-Feuerwerk im eigenen Kopf auch immer bringen mag. Der Hauschka-Klangkosmos ist wie ein akustischer Trip, allerdings frei von unerwünschten Nebenwirkungen und einfach nur ear-sinnig schön!