Gemeinschaft braucht Festivals: Die Zukunft nach Solingen und Supernova
Eigentlich wollte ich etwas über Festivals, vor allem Musikfestivals, schreiben. Festival, das ist auch ein Mythos. Ich war fasziniert von Woodstock, dem in jeder Beziehung legendären Event. Ich musste mich dank der Ungnade der späten Geburt mit dem Filmerlebnis Mitte der 70er zufriedengeben.
Dann endlich die ersten Live-Erlebnisse. Für mich war es das Wittener Folkfestival, wo ich dann nicht nur im Publikum war, sondern als Volunteer für freien Eintritt und Catering den Ordnerdienst versah. Dann der erste Besuch des legendären »Montreux Jazz Festivals« am Genfer See, das ebenso wie Woodstock eine eigene Hymne mit »Smoke on the Water« bekam. Ich sah und hörte 1977 Leo Kottke, Rory Gallagher, Muddy Waters oder Bonnie Raitt im neuen Casino. Was für ein Line-up! Die Mischung bei Festivals mit rasanten Programmwechseln und Community Building im Hier und Jetzt funktioniert immer noch. Auch in der Ära von Tinder, Streamingdiensten und selbst nach Corona.
Dann kam der 23. August, 21.37 Uhr Solingen. Da wurde ein Event, der friedlich und schön begann, zu einem Albtraum, der wie beim »Supernova« in Re’im durch Islamisten blutige Realität wurde. Ich wäre um ein Haar am Ort des Geschehens in Solingen gewesen, verabredet mit Familie und Freunden genau am späteren Tatort. Deren Glück waren Müdigkeit und Hunger, meines war der Stau auf der Autobahn, so dass wir zum schrecklichen Zeitpunkt des Anschlags nicht am Treffpunkt waren.
Anlässlich des Solinger Stadtjubiläums war ein dreitägiges »Festival der Vielfalt« mit drei Für den memo_category Shortcode muss das Attribute "id" mit der Nummer der zu verlinkenden Kategorie angegeben werden. (Beispiel: [memo_kategorie id=123]link text[/memo_kategorie] und einem bunten Musikprogramm geplant, wie die lokale Coverband See You, DJ Topic mit den Bergischen Symphonikern und Suzan Köcher’s Suprafon. Sie alle spielten parallel auf den drei Stages, als der Täter das Messer zückte, genau vor der Bühne von Suzans Indipop-Band. Im Publikum viele Menschen, die sich für Flüchtlinge und gegen Rassismus eingesetzt hatten. Wie zynisch, dass sich der Täter genau diesen Ort neben einer Kirche ausgesucht hatte und ausgerechnet das ganze Publikum zu körperlichen und seelischen Opfern machte.
Und nur eine Woche später tritt Suzan Köcher mit ihren Musikern beim »indie.cologne.fest.2024« auf. Chapeau vor dieser soziokulturellen Konfrontationstherapie. Aber das ist vielleicht auch der Schlüssel. Natürlich sind Festivals mit Eintritt, Personenkontrollen, Leibesvisitationen und Taschendurchsuchungen besser gefeit vor solchen Attacken. Lassen wir mal alle Aspekte der Veranstaltungssicherheit beiseite, die gerade alle Veranstalter bewegt. Wir diskutieren auch in Solingen, wie es weitergeht – viele Menschen wollen einfach nur zur Ruhe kommen. Viele aus dem Publikum bei dem Anschlag, die ich kenne und kannte, waren vorher feierwütig. Hoffentlich sind sie es früher oder später auch wieder.
Musik kann nicht nur individuell heilen, sondern auch kollektiv. Gerade bei der Spaltung der Gesellschaft brauchen wir ein positives, stärkendes Gemeinschaftsgefühl durch und auf Festivals: bunt, vielfältig und friedlich.
Diese Funktion des sozialen Kitts von Kultur ist angesichts der Angriffe auf die demokratische Gemeinschaft gerade durch AfD und andere Rechtsextreme extrem wichtig. Gerade in Regionen, wo Rechtsextreme in nicht zu unterschätzender Weise schon den Alltag bestimmen. Sollte in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg doch die AFD regieren oder mitregieren, werden viele bunte Festivals gefährdet sein.
Die Streichung der öffentlichen Förderungen für alles, was Vielfalt thematisiert, ist schon angedroht. PS: Ich bewundere den Mut des Ehepaars Lohmeyer, das jedes Jahr in dem Nazidorf Jamel in Mecklenburg-Vorpommern das Festival »Rockt den Förster« veranstaltet.