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Es lebe die Vielfalt – Talking Heads zur Diversität

Britta Frielingsdorf arbeitet als Beauftragte für Gleichstellung im WDR für Geschlechtergerechtigkeit und Diversity im Personalbereich. Van Bo Le-Mentzel ist Mitbegründer des Berliner Vereins »Kiez-Tank-Stelle«, der sogenannte »Schooltalks« organisiert. Interessante Persönlichkeiten erzählen Jugendlichen, wie sie es geschafft haben, trotz schlechter Startbedingungen im Leben weiterzukommen. Karin Ruppert begleitet Organisationen in Veränderungsprozessen und ist Impulsgeberin für Gender Equality, New Leadership und Cultural Change. Darüber hinaus ist sie Vorstandsvorsitzende des gemeinnützigen Vereins She Means Community e. V., der mehrere Initiativen zur Förderung der Gleichberechtigung vereint. Jürgen May ist Berater für alle Aspekte der Nachhaltigkeit in der Veranstaltungsbranche. Er ist Dozent für »Sustainable Eventmanagement« an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, dem Studieninstitut Düsseldorf und der IECA Internationale Event- & Congress-Academy Mannheim.

Warum spielt das Thema Diversität eine immer größere Rolle?

Britta Frielingsdorf ist für Diversität beim WDR zuständig.

Britta Frielingsdorf ist für Diversität beim WDR zuständig.

Britta Frielingsdorf: Unsere Gesellschaft verändert sich ständig. Einige Stichworte dazu sind Chancengerechtigkeit, Orientierung, Respekt, Sichtbarkeit und Teilhabe. Und die Digitalisierung bietet mehr Möglichkeiten und auch Bedarf, Zielgruppen zu definieren und zu erreichen.

Van Bo Le-Mentzel: Diversität hat eigentlich schon immer eine Rolle gespielt, nur waren die Rahmenbedingungen, um Diversität einzufordern, nicht so wie heute gegeben. Es ist eine Bereicherung, wenn wir an Schulen auch Lehrpersonen haben, die schwarz sind oder Asiaten oder Menschen mit Hijab oder Menschen im Rollstuhl oder Transpersonen oder was auch immer.

Karin Ruppert: Studien belegen, dass vielfältig aufgestellte Management-Teams die besseren Ergebnisse hervorbringen. Diese Erkenntnis, der demografische Wandel und die Herausforderungen des Megatrends »Soziale Nachhaltigkeit« haben das Thema Diversität auf die Agenda vieler Unternehmen gebracht. Unternehmen können es sich aufgrund des Fachkräftemangels schlichtweg nicht mehr leisten, die Dimension Gender Equality und damit die Hälfte der Bevölkerung auszuklammern.

Jürgen May: Diversität sorgt dafür, dass die Vielfalt in unserer Gesellschaft aufgezeigt wird. Zusammengefasst ist Diversität antidiskriminierend.

Wie kann echte Diversität im Kulturbereich erreicht werden?

KR: In erster Linie, indem wir alle Menschen einladen, ihre unterschiedlichen Perspektiven sichtbar zu machen. Diese Vielfalt unserer Gesellschaft sollte sich auf den Bühnen unserer Veranstaltungen widerspiegeln und zum Diskurs über gemeinsame Werte und Verhaltensweisen anregen.

JM: Wenn die Einbindung des Themas in den Ausbildungsbereich im Kulturbereich erfolgt. Mit gutem Beispiel geht die Kunst-Uni Graz voran. An der KUG wird Diversität über einen Entwicklungsplan, der noch bis 2024 läuft, gefördert. Für Lehre und Kunst gilt ein erweitertes Wissen um Diversität. Dazu gehören die theoretische Diskussion, praktische Reflexion von Themen wie Identitätsbildung, Integration/Inklusion und Segregation, Inter- und Transkulturalität, Migration und Transmigration oder Globalisierungsdebatten und Postcolonial Studies.

BF: Es geht um Annäherung an die Vielfalt der Gesellschaft, um Perspektivenvielfalt, um Privilegien und um Zugang, auch zu Kultur und zum Kulturbetrieb, ohne zu stigmatisieren. Wen wollen wir erreichen? Wen sehen wir gar nicht? Welche Perspektiven fehlen uns? Was brauchen wir, um das zu ändern? Nur ein Beispiel: 30 Prozent der Menschen in NRW haben heute eine Einwanderungsgeschichte. Und im Kulturbetrieb?

Chancengerechtigkeit ist auch ein Bestandteil von Diversität. Dafür setzt sich Van Bo Le-Metzel ein.

Chancengerechtigkeit ist auch ein Bestandteil von Diversität. Dafür setzt sich Van Bo Le-Metzel ein.

VBLM: Es geht um Repräsentanz. Viele Perspektiven sind bisher nicht sichtbar. Ich denke, es wäre schon mal ein guter Start, wenn die Leute, die entscheiden, sehr viel diverser aufgestellt wären. Und zwar nicht nur in der Kulturbranche, sondern auch in der Medienbranche. Also Menschen, die Zeitungen herausgeben oder Fernsehen oder Radio machen. In all diesen Bereichen müssten die Führungskräfte diverser aufgestellt sein.

Wo muss Politik aktiv werden?

JM: Politik muss die soziokulturellen und ökonomischen Interaktionen aller Menschen in der Gesellschaft offensiv fördern und mitgestalten. Und dies unabhängig von Geschlecht, Alter, Ethnizität oder Hautfarbe.

VBLM: Quoten sind unbeliebt, aber sie helfen. Quoten verbessern nicht direkt die Qualität eines Theaters oder eines Museums oder einer Partei, aber die Quote macht alle Organisationen diverser. Und am Ende steigt die Qualität dann doch, weil durch die Quote viel mehr Perspektiven ermöglicht werden.

KR: Die Politik hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Diskriminierung im System verhindern. Dabei geht es um klare Vorgaben, Regeln, aber auch um die Schaffung von Anreizen, um Diskriminierung entgegenzuwirken. Ein Beispiel: die Einführung einer Quotenregelung für die paritätische Zusammensetzung von politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsgremien.

BF: Die Politik muss für Chancengerechtigkeit in der Bildung sorgen. Die Lotterie der eigenen Herkunft bestimmt nach wie vor viel zu stark den Werdegang in Deutschland. Ungleiche Startchancen auszugleichen, ist eine gesellschaftliche Herausforderung und eine Aufgabe der Politik. Ich wünsche mir einen Leistungsbegriff, der nicht darauf beruht, welche Ressourcen Eltern hatten, um ihre Kinder zu fördern.

Was hat jede:r selbst in der Hand?

VBLM: Ich denke, jeder muss sich erst mal der eigenen Privilegien bewusst werden. Ich als CIS-Mann habe bestimmte Privilegien gegenüber Frauen, die als Frauen schlechter bezahlt werden, oder gegenüber Transgender. Das müssen wir erst mal alle begreifen. Das war auch für mich ein Prozess. Fangen wir damit an, dass man die eigenen Privilegien checkt.

Nicht nur das Klima muss bei einer nachhaltigen Veranstaltungsbranche eine Rolle spielen, Diversität gehört, laut Jürgen May, auch dazu.

Nicht nur das Klima muss bei einer nachhaltigen Veranstaltungsbranche eine Rolle spielen, Diversität gehört, laut Jürgen May, auch dazu.

JM: Ich empfehle, dem Thema mit Offenheit und Neugier zu begegnen. Dazu empfehle ich sehr, das Buch von Hadija Haruna-Oelker, Journalistin, Politikwissenschaftlerin und Moderatorin. »Miteinander anders denken« zu lesen. Sie beschäftigt sich seit Langem mit Diversität, Gender, Rassismus, Intersektionalität und Diskriminierung. Sie ist davon überzeugt, dass wir alle etwas von den Perspektiven anderer in uns tragen. Dass wir voneinander lernen können. Und einander zuhören sollten.

BF: Jede und jeder Einzelne kann viel selbst tun. Alle Menschen haben Stereotypen im Kopf. Unser Gehirn funktioniert nun einmal so. Sich das bewusst zu machen, Respekt und Wertschätzung für andere Menschen zu zeigen, offen und neugierig für andere Lebensentwürfe und Perspektiven zu sein, die eigene eingeschränkte Perspektive und die eigenen Privilegien zu reflektieren, das ändert schon richtig viel.

KR: Jede:r hat es selbst in der Hand, sein eigenes Denken zu hinterfragen und sich über eigene diskriminierende Glaubenssätze oder innere Bilder bewusst zu werden. Das sind die ersten wichtigen Schritte. In der Folge ergeben sich dann, dem eigenen Wirkungskreis entsprechend, viele Möglichkeiten, das veränderte Bewusstsein in das tägliche Handeln zu integrieren.

Wie erreichen wir mehr Diversität, ohne eine neue Bürokratie zu schaffen?

JM: Schwierig. Ich glaube, Rahmenbedingungen wird es brauchen. Die Herausforderung wird es sein, Diversität nicht nur in Gesetze zu packen, denn dann entstehen bürokratische Ungetüme, die niemand versteht.

BF: Einfach die Methoden anwenden, die geübt sind: Vision formulieren, Ziele definieren, Maßnahmen entwickeln, Umsetzung prüfen, Zielerreichung feiern, Ziele weiterentwickeln. Das ist kein Hexenwerk.

KR: Ohne klare Vorgaben passiert recht wenig und Vorgaben funktionieren dann, wenn sie kontrolliert werden. Insofern wird es ganz ohne Bürokratie nicht klappen. Aber das Dokumentieren und Erreichen von Nachhaltigkeitszielen ist ja bereits in vielen Firmen gelernt. Das betrifft eben auch das Thema »Soziale Nachhaltigkeit«.

Die Politik hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Diskriminierung im System verhindern.

Wie sieht es 2052 aus?

BF: Anders als heute auf jeden Fall. Gesellschaft verändert sich ständig. Hoffentlich ist es ein vielfältiger Kulturbetrieb mit Angeboten für alle Teile der Gesellschaft. Auch wenn wir heute noch nicht wissen, wie die konkret aussehen wird.

Karin Ruppert setzt sich mit dem She Means Community e. V. für Gender Equality ein.

Karin Ruppert setzt sich mit dem She Means Community e. V. für Gender Equality ein.

KR: Bestenfalls gleichberechtigt, innovativ, offen, vielfältig und vor allem hoffentlich friedlich.

VBLM: Ich habe die Vision, in einem Experiment Land in aussterbenden Gegenden zu tauschen: Ihr bekommt Palästina und die Palästinenser:innen bekommen Meck-Pomm. Dann würde in Meck-Pomm Little Palestine entstehen oder in Sachsen irgendwo, in irgendeinem Kaff, wo keiner mehr ist, könnte dann Little Kurdistan sein und so weiter – wie es ja auch schon so Chinatown gibt in den USA. Das sind ja sehr beliebte Orte in den USA. So kleine, künstliche Biotope, kulturelle Biotope. Das wäre hochgradig kulturell spannend, wenn so in einer Gegend Aufbruchstimmung entsteht, wo keiner hinziehen will.

Ich denke, jeder muss sich erst mal der eigenen Privilegien bewusst werden …

JM: Wir befinden uns leider immer noch im Schneckentempo, was die Entwicklung von Nachhaltigkeitsprozessen betrifft, zu denen auch das Thema Diversität gehört. Ich denke, es wird so kommen (müssen), wie es Christian Böhler, Partner bei Roland Berger und Experte für Nachhaltigkeit in einer Zukunftsstudie beschrieben hat, um die Welt, mit dann über 10 Milliarden Menschen, lebenswert zu halten: Nachhaltiges Handeln würde im Jahr 2050 gesetzlich vorgeschrieben. Die Klimakatastrophe wäre abgewendet, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzt und die globale Armut reduziert. Der Preis dafür wäre, dass wir in Bezug auf die Nachhaltigkeit in einer Art Staatskommunismus leben, in dem entsprechende Gesetze den Nachhaltigkeitsaspekt unseres Lebens regulieren. Die Standards dafür würden enorm hoch sein – das gilt auch für Quoten beispielsweise in Sachen Diversity – und Greenwashing würde, wo es aufgedeckt wird, hart bestraft.

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