Die starke Stimme einer starken Branche – Talking Heads der Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft
Während die Bundesrepublik Deutschland in ihr drittes Pandemiejahr schliddert, wurde in der Hauptstadt Berlin am 28. Oktober 2021 die Bundeskonferenz gegründet mit dem Ziel, den sechstgrößten Wirtschaftszweig des Landes zu vertreten. Ein Rat von elf Vertreter:innen wurde gewählt, die die Konferenz gegenüber der Politik vertreten, was sich in den letzten Tagen wieder als sehr wichtig und notwendig herauskristallisiert hat. showcases befragte drei der elf Vertreter:innen der Konferenz zu Selbstverständnis, Selbstverpflichtung und Selbstbewusstsein: Christian Eichenberger, zu Hause bei Party Rent, Sandra Beckmann aus dem Event-Kombinat (beide auch bei #AlarmstufeRot aktiv) sowie Kerstin Meisner, die Herausgeberin von memo-media, showcases und dem Eventbranchenverzeichnis.
Worin siehst Du die vordringliche Aufgabe der Bundeskonferenz?
Christian Eichenberger: Diese basisdemokratische Plattform muss dafür sorgen, dass unsere Branche bei den politischen Entscheidern in Berlin ähnlich bekannt wird wie andere Wirtschaftszweige. Die Automobilindustrie, Luftfahrt, die Hotellerie und Gastronomie mit der DEHOGA wurden nicht nur sofort gehört, als es 2020 kritisch wurde. Man hat sie von vornherein mitgedacht. Politische – und auch gesellschaftliche – Sichtbarkeit soll der Vertreter:innen-Rat der Bundeskonferenz schaffen.
Sandra Beckmann: Die Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft ermöglicht es einem gerade erst bekannt gewordenen Wirtschaftszweig, übergeordnet die Belange aller Branchen politisch zu vertreten. Dies ist absolut notwendig, wie uns diese Krisenzeit unter den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie gelehrt hat. Partikulare Interessenvertretung ist richtig und wichtig, aber hat sich als wenig effektiv bei übergeordneten Problemlagen erwiesen. Hierzu gab es bislang keinen geeigneten Zusammenschluss oder einen entsprechenden übergeordneten Verband, der dies hätte machen können und zeitgleich die größtmögliche Beteiligung aller Betroffenen zugelassen hätte.
Kerstin Meisner: Wir können es gar nicht oft genug betonen, wie groß unser Wirtschaftszweig ist. Wir sprechen von einem Jahresumsatz von 81 Milliarden Euro – vor Corona. Und rund zwei Millionen Beschäftigten. Die Aufgabe der Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft ist kurzfristig, dieser Branche Gehör zu verschaffen, damit sie bei den aktuellen Hilfen explizit berücksichtigt wird, und sie langfristig als sechsstärksten Wirtschaftszweig fest in allen Entscheider-Köpfen in Berlin zu etablieren.
Was ist die Perspektive der Branche auf lange Sicht?
KM: Es ist bitter, wenn wir in die Zukunft schauen. Das eine ist der ständige Kampf ums Überleben und dann die Rechtfertigung, warum wir denn alle unser Geschäft nach 20 Monaten Pandemie nicht umgestellt hätten. All das, für das wir jahrzehntelang gestanden haben, all unsere Expertise in der Kommunikation, unsere Stärke im Messebau, die breite Vielfalt in Kunst und Kultur erscheint in vielen Diskussionen wie ein »Nice-to-have«, auf das man jetzt und in Zukunft eben verzichten muss. Doch können wir als Gesellschaft wirklich darauf verzichten? Ich denke nicht.
CE: Auf mittlere Sicht ist der Ausblick finster. Der Umsatzeinbruch betrug zeitweilig über 88 %. Er liegt in der Branche aktuell bei 60 %. Angesichts der nächsten Corona-Welle kommt es gerade zu umfassenden Stornierungen bei 77 % der Betriebe, sodass hier ein weiterer massiver Rückgang zu erwarten ist. Deshalb müssen die Wirtschaftshilfen für den Sektor zwingend verlängert werden. Die Personalzahl ging um 55 % zurück. Auch dies wird sich zuspitzen, wenn die Kurzarbeiterregelung endet, was ursprünglich zum Jahresende geplant war und nun auf März vertagt wurde. Es deprimiert, dass wir gefühlt alle drei Monate neu um unser Überleben verhandeln müssen mit Berlin. Alle drei Monate neu alle Argumente wiederholen müssen, warum die Veranstaltungswirtschaft in der Existenz bedroht ist, wenn Veranstaltungen faktisch verboten sind. Alle drei Monate neu darlegen müssen, dass dem Exportweltmeister ohne Messen das Schaufenster in die Welt fehlt, ohne Bühnen der Kulturnation die Grundlage entzogen ist. Langfristig hat die Veranstaltungswirtschaft alles, um ihre Top-3-Position in der Welt halten und ausbauen zu können: Expertise, Technik, Professionalität. Das wird uns aber nur gelingen, wenn nach der Pandemie nicht alles Kapital aufgezehrt ist und die 55 % Mitarbeiterabwanderung wieder ausgeglichen werden kann.
SB: Das Problem liegt derzeit in der aktuellen und zukünftigen Entwicklung der Pandemie, den Maßnahmen der Regierung und die dadurch notwendigen Hilfen für unseren Wirtschaftszweig. Bleibt die Lage erst mal so und werden zeitgleich die Hilfen reduziert, wie beispielsweise das Kurzarbeitergeld, haben wir am Ende gänzlich andere Probleme für einen Neustart. Denn verschwinden aufgrund mangelnder Hilfen weiter mehr und mehr Facharbeiter in den Betrieben und auf dem freien Markt, wird uns am Ende diese »Manpower« fehlen, um Veranstaltungen zu realisieren. Davon hängt derzeit elementar die Entwicklung und die Dauer bis zur Rückkehr auf Vor-Krisen-Niveau ab. Nichtsdestotrotz glaube ich fest daran, dass wir langfristig wieder zu alter Kraft zurückkehren werden. Mir persönlich liegt viel daran, dass wir alle wieder das machen können, wofür unser Herz schlägt. Würde ich das nicht glauben, hätte ich mich nicht von Anfang an für diesen Wirtschaftszweig politisch stark gemacht.
Warum hast Du als Vertreter:in für die Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft kandidiert und was ist Deine Aufgabe?
CE: Ich konnte als betroffener Arbeitgeber und Leiter eines Betriebs in der Veranstaltungswirtschaft authentisch Kontakt zu Politikern aufnehmen seit Mitte 2020. Hierbei ist ein Netzwerk entstanden, über das Impulse in die Regierung gegeben werden konnten. So haben wir – bei #AlarmstufeRot und im Austausch mit den Gruppen innerhalb der Bundeskonferenz und darüber hinaus – schlimme politische Entscheidungen abmildern können. Ich möchte diese persönlichen Verbindungen weiterhin einsetzen, um für die Menschen und Betriebe in unserem Wirtschaftszweig Vorteile und Verbesserungen rauszuholen.
KM: Als Herausgeberin der großen Plattformen memo-media.de und Eventbranchenverzeichnis.de habe ich Kontakt zu so gut wie allen Gewerken unserer Branche, zu Planer:innen, Künstler:innen und Dienstleistenden. Ich glaube, ich kann ganz gut erspüren, wie es den Einzelnen ergeht und so für die breite Vielfalt, die unsere Branche ja auszeichnet, sprechen. In der Tat habe ich bisher kaum politische Netzwerke wie beispielsweise Christian. Aber aus diesem Grunde sind wir ja zu elft im Vertreter:innen-Rat, so kann jede:r die eigenen Stärken einbringen.
SB: Für mich war relativ früh klar, dass ich das, was ich angefangen habe, nicht nur zu Ende bringe, sondern in diesem Fall auch in die Zukunft führen möchte. Eine übergeordnete Interessenvertretung hat uns in der Vergangenheit gefehlt. Ebenso die übergreifende Zusammenarbeit bei gemeinsamen Interessenlagen. Die Corona-Pandemie ist nun ein sehr krasser Vorfall, welcher uns in akuten Handlungszwang gebracht hat. Hätten wir uns in den Jahren davor allerdings schon besser aufgestellt, wäre unsere Wahrnehmung deutlich besser gewesen. Es gab aber wie so oft, keine akute Notwendigkeit aktiv zu werden. Bis jetzt! Die jahrelange Untätigkeit ist uns damit auf die Füße gefallen. Ich bin froh, dass wir im Zuge der Krise eine Zusammenführung und damit auch die notwendige Wahrnehmung erreichen konnten. Das gilt es nun, strukturiert in die Zukunft zu führen. Die Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft ist dafür das best geeignetste Instrument als neutrale Plattform mit zeitgleich größter Beteiligungsmöglichkeit. Jede:r kann mitmachen, Themen einreichen, gemeinsam ausarbeiten und am Ende mitvertreten, so wie wir es mit unserer Aufstellung zur Wahl der Vertreter:innen auch gemacht haben. Wer wirklich etwas verändern möchte, wird hier nicht ausgeschlossen.
Hat sich die Sichtweise auf die Veranstaltungsbranche durch Corona verändert?
KM: Ich war zu Beginn der Pandemie ernsthaft erschrocken, wie wenig man in der politischen Welt über das Tun und Wirken der Veranstaltungsbranche wusste. Und wie wenig man unsere Lebensverhältnisse einschätzen konnte. Ich erinnere mich gut an das Gespräch mit einem Mitglied des Haushaltsausschusses, der der festen Meinung war, dass die meisten Künstler:innen und Veranstaltungs-Solos nur nebenberuflich tätig wären und während der Pandemie quasi eine Art Hobby wegfallen würde. Die stetige Art der #AlarmstufeRot und die beiden hochprofessionellen Demonstrationen in Berlin haben diese Sichtweise verändert. Das Schlimmste ist, dass viele Politiker:innen in der aktuellen Tatenlosigkeit wieder in das alte Muster verfallen und professionell Corona-konform geplante Veranstaltungen schon wieder verteufeln, aber nicht den Mumm aufbringen, ernsthafte Kontrollen der Impfstati durchzusetzen. Wir kontrollieren 2G oder auch 2G+ sorgfältig bei unseren aktuell noch möglichen Veranstaltungen, aber wie sieht es mit den Kontrollen in Bus und Bahnen, an Flughäfen oder Fußballstadien aus?
SB: Auf jeden Fall! Aber es hat uns viel Arbeit gekostet bis hier hin. Damit diese nicht vertan ist und wir wieder aus der Wahrnehmung in die Vergessenheit rutschen, wenn diese Krise irgendwann überwunden ist, gilt es nun, diese geschaffene Basis auszubauen und zukunftfähig aufzustellen. Erst recht unter dem Aspekt des Regierungswechsels und der teilweise neuen Ansprechpartner:innen, die vielleicht noch nicht so tief in unserer Thematik stehen.
CE: Zwischenzeitlich hatte ich in den letzten 20 Monaten den Eindruck, dass man uns in Politik und Gesellschaft differenzierter wahrnimmt als vor der Pandemie. Früher noch war die Veranstaltungswirtschaft ein Hidden Champion, der gut war und da war, ohne dass man das weiter mitbekommen hat. Viele Politiker:innen haben dann phasenweise über unseren Sektor gesprochen, wenngleich mit einem starken Fokus auf die Kulturwirtschaft – obwohl 88 % der Veranstaltungen Wirtschaftsanlässe wie Messen sind. Aber im Moment – angesichts der steigenden Infektionszahlen – bin ich ziemlich desillusioniert. Denn wie im März 2020 poltern Minister und Politikberater:innen wieder: »Party und Kirmes ist halt erstmal nicht.« All die Beweise, dass professionell organisierte Veranstaltungen auch höchste Sicherheitswerte erreichen, verblassen, wenn Populisten trommeln, die eine Pandemie gesundheitspolitisch nicht in den Griff bekommen. Insofern ist die Arbeit der Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft nötig wie am ersten Tag. Wir müssen weiter Gas geben.
Nimmst Du eine Veränderung in der Selbstwahrnehmung und im Selbstbewusstsein der Branche war?
SB: Auch das ist der Fall. Wenngleich wir uns noch in einer Gemengelage befinden. Die einen halten es immer noch für statthaft, dass wir regelmäßig »übersehen« werden, aber der Großteil fühlt sich mittlerweile gut wahrgenommen. Sie wissen aber auch, dass wir weiterhin aktiv mitsteuern müssen. Die vergangenen Monate haben aufgezeigt, dass wir alle nicht ruhen können und immer wieder von uns interveniert werden muss, um Hilfen entsprechend an unsere Lage anpassen zu lassen.
CE: Anders als vor der Krise reden nun alle miteinander. Das verbindet. Die Rechtfertigung unserer Existenzberechtigung hat uns zudem erstmals ein klares Bild von unserem Sektor gegeben, dass wir eine Schlüsselbranche in Deutschland sind. Derzeit ist es außerdem viel kollegialer untereinander, wie Zusammenkünfte wie die Bundeskonferenz zeigen. Not schweißt zusammen. Diesen Impuls müssen wir nutzen für die Rettung der Veranstaltungswirtschaft.
KM: Das Wissen, wie groß unser Sektor ist und wie viele Menschen er ernährt, stärkt uns den Rücken. Aktuell ist keine Zeit für Ellenbogen-Denken und ich würde mir wünschen, dass wir uns diesen Zusammenhalt erhalten können.
Was sind Eure nächsten konkreten Schritte?
CE: Die Vertreterinnen und Vertreter der Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft stimmen sich derzeit ab und widmen sich dann sofort der politischen Interessenvermittlung auf diversen Ebenen des deutschen politischen Systems. Dafür wurden inhaltlich die 33 Forderungen verabschiedet. Das Zeitfenster ist gut, hat sich doch gerade die Regierung für die nächsten Jahre definiert. Die elf Fürsprecher:innen werden zudem permanent Schwerpunktthemen und Bedürfnisse der Branche synchronisieren und dienen als Ansprechpartner:innen für deren vielfältige Teilbelange. Sie werden zudem in die Branche hineinwirken, Vertrauen aufbauen und weitere Unterstützer:innen für das Projekt Bundeskonferenz gewinnen. Denn dieses Unterfangen steht noch am Anfang seiner Entwicklung. Am Ende ist das große Ziel, an die Politik ein Signal zu senden: Die facettenreiche Branche mit ihren über 150 Verbänden und Initiativen kann relevante Themen und wirksame Lösungsvorschläge benennen, die die politischen Entscheider:innen brauchen, um ihren Gestaltungsauftrag zu erfüllen. Der ehrenamtlich tätige Vertreter:innen-Rat wird schließlich auch die Bundeskonferenz 2022 vorbereiten, eine Schirmherrschaft dafür gewinnen und in den Wirtschaftszweig hineinhören, um die erarbeiteten Forderungen stets zu aktualisieren. Unser Sektor ist nicht nur vielfältig, sondern in manchen Teilen schon bestens verbandlich organisiert.
Deshalb will die Bundeskonferenz Veranstaltungswirtschaft für alle Beteiligten ein offenes Format sein, um einem gemeinsamen Ziel zu dienen: In Politik und Öffentlichkeit soll der sechsgrößte Wirtschaftszweig angemessen wahrgenommen und nicht mehr vergessen werden. Die Bundeskonferenz will keinen neuen Verband schaffen. Sondern sie ist ein sich stetig weiterentwickelnder Prozess, den die Akteurinnen und Akteure der Veranstaltungswirtschaft gestalten.