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42. Festival Mondial du Cirque de Demain — Ein Fest der Artistik

Diese vier Tage des »Cirque de Demain« in Paris waren allen ein Fest.

Ein Fest für die 59 jungen Artisten und Artistinnen, die sich und ihre Kunst in der legendären Manege des Cirque Phénix nach den zwei langen Jahren pandemiebedingter Pause als erstes wieder zeigen konnten.

Ein Fest für die zehn Jury-Mitglieder, die teils wie Valérie Fratellini als Urgestein der Artistik-Ausbildung schon seit Jahrzenten wichtiger Part der Jury oder wie Markus Pabst aus Berlin zum ersten Mal dabei sind.

Der Moderator des Cirque de Demain Calixte de Nigremont

Der Moderator des Cirque de Demain Calixte de Nigremont

Ein Fest für den Moderator Calixte de Nigremont, ohne den das Festival nicht das gleiche Festival wäre, so sehr wird er gefeiert. Nicht vorstellbar, was der Schlossbesitzer in den beiden Jahren ohne Festival mit der Vielzahl an Worten gemacht hat, die bei den fünf Shows wie ein Wasserfall aus ihm heraussprudeln und den Shows in all den Jahren eine Struktur und einen festen Rahmen geben, in den sich die so verschiedenen Auftritte einbetten. Sein Geplauder unterhält und lullt ein, warten doch alle auf den Pfiff aus dem Backstage, dass die Manege für den nächsten Act frei ist.

Es ist ein Fest für die fünfmal 2.600 Besuchende, die der Cirque Phénix fasst, die sich mit La-Ola-Wellen selbst feiern und für die immer wieder ein Act gefunden wird, der sie alle miteinbezieht.

Ein Fest für die Artistik-Schüler:innen, die als großes Ensemble den wuseligen Auftakt jeder Show gestalten und für die diese Auftritte wichtige Schritte ihrer jungen Karriere sind.

Dieses Festival ist wie ein Sog, so voller Energie, Kraft und Adrenalin. Alle feiern die Artist:innen, fiebern mit, dass alles funktioniert und dass sich die Hoffnungen, die jeder und jede auf der Bühne in den Auftritt legt, erfüllen. Das »an die Grenzen gehen« und darüber hinaus ist für alle spürbar.

Absolut verblüffend war der Auftritt von »La Tangente du Bras tendu« am fliegenden Trapez. Beginnt er doch als recht gewöhnliche Flugtrapez-Show, bei der sich alle insgeheim fragen, warum diese denn wohl ausgewählt wurde. Plötzlich wird der Act gekapert – von Widerstandskämpfenden in grauen Anzügen, die Flugblätter in die Manege fallen lassen. Eine Verfolgungsjagd beginnt und endet in ei- ner spektakulären Flugschau mit fulminanten Bildern – wirbelnde Artisten und Artistinnen, wirbelnde Flugblätter – alles in 14 Meter Höhe. Einfach Power pur. Dafür gab es wohlverdient den Grand Pix.

Die Goldmedaillen des »Cirque de Demain«

 Die Troupe Kolfe aus Äthiopien

Die Troupe Kolfe aus Äthiopien

Die Troupe Kolfe aus Äthiopien präsentierte eine unfassbar rasante Mischung aus Ikarischen Spielen und Schleuderbrett. Zu acht hatten sie sich durch die Verzögerung der Pandemie fünf Jahre lang auf die Teilnahme in Paris vorbereitet. Die lange Probenzeit hat dem Act die Goldmedaille eingebracht – absolut wohlverdient. Diesen Artisten wünscht man eine weltweite Karriere.

Der zweite Goldmedaillen-Gewinner ist Hng Thean Leong aus Malaysia mit dem Diabolo. Er wurde von Chi-Han Chao, der 2017 die Goldmedaille gewonnen hatte, in Taiwan ausgebildet. Diese Tradition ist unverkennbar – wer grandioses Diabolo meint, dachte bisher an Chi-Han Chao. In Zukunft auch an Hng Thean Leong.

Die Silbermedaillen des »Cirque de Demain«

Die Equilibristin und Handstandartistin Polina Makarova aus Mexiko, die schon zum Cast des Cirque de Soleil gehörte, entwickelte den in Paris dargebotenen Act eigens für das Festival. Minutenlang hielt sie ihr Körpergewicht auf dem ausgestreckten Arm, und das in einem Wechsel aus ruhigen, sphärischen Momenten mit Sequenzen voller Dynamik. Großartig.

Quentin Signori aus Frankreich tritt nur an einem Strapaten-Band, das wie aus dem Himmel kommt, auf. Er fliegt und wirbelt und schleudert – unglaublich, was dieser Körper aushält.

Die Bronzemedaillen des »Cirque de Demain«

Das Duo Ma-Mão Compagnie kommt aus Brasilien

Das Duo Ma-Mão Compagnie kommt aus Brasilien

Die Zwillinge Yuilia und Olha Msoienko kommen aus der Ukraine und tanzten am Flying Pole als Duo Gemini. Entrückt und wunderschön. Erst schmeißt er sie, dann schüttelt er sie, dann tanzen sie und dann kämpfen sie – so unbeholfen die Beschreibung des Acts, so großartig ist er, wenn man ihn erlebt. Das Duo Ma-Mao Compagnie kommt aus Brazilien und ist Artistik und Comedy pur. Tatsächlich unsere Lieblingsnummer.

Die Nummer des Trapez-Duos Gustavo & Nerea aus Spanien ist elegant und perfekt choreografiert. Wirklich sensationell wird sie gegen Ende, wenn Gustavo sich nach hinten fallen lässt und Nerea fängt, die nach vorne gesprungen ist. Titos Tsai aus China ist der, der mit dem Schwert tanzt. Er schwingt es wie eine Feder, die physikalischen Gesetze scheinen ausgesetzt.

Der Rückblick auf das diesjährige Festival weckt die Vorfreude auf das kommende Jahr. Wer an und über Grenzen gehende Artistik erleben will, darf das »43. Festival Mondial du Cirque de Demain« vom 25. bis 28 Januar 2024 nicht verpassen.