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Wichtig ist, dass du beim Straßentheater ständig lieferst — Der Künstler Mario Michalak im Gespräch

Bewegende Figuren im Außeneinsatz

Bewegende Figuren im Außeneinsatz

Der 58-jährige Mario Michalak aus der Domstadt Köln gehört zu den bunten Gestalten der deutschen Straßentheater- wie Eventszene. Er baut, organisiert, produziert und inszeniert nicht nur, sondern tritt auch selber bei seinen Performances auf. Seine Indoorprogramme »Amorphia« nennt er einen »visuellen Augenschmaus«. Eine hochwertige visuelle Unterhaltung. Bewegende Figuren, Skulpturen, die einen Raum erfüllen und den Betrachter und die Betrachterin in ihren Bann ziehen können.

Als andere sich für eine Karriere als Bankkaufmann, Jurist oder Chirurg entschieden, wurde Mario Pantomime. Er lernte diese Kunst von der Pieke auf beim legendären Milan Sládek im Theater Kefka. Die Sehnsucht nach der Bühne lag schon in der Familie. Seine Großmutter war Opernsängerin. Und sie war es, die dem Teenager den ersten Pantomimen-Workshop geschenkt hat. Von da an hat er für die Bühne gebrannt. Michalak war bei seinem Ding angekommen. Die nächsten Schritte führten ihn zum Kindertheater. Inzwischen macht er neben dem Straßentheater auch Events für Unternehmen und ist zudem auf Messen und Festivals unterwegs. Erstaunlicherweise findet er daneben noch die Zeit, sich politisch zu engagieren.

Deine Selbständigkeit begann mit dem Venedig-Programm, das du jetzt auch schon seit 20 Jahren im Repertoire hast?

Die fahrbaren venezianischen Gondeln

Die fahrbaren venezianischen Gondeln

Ja, das war zuerst eine Auftragsarbeit. Für den Bundesverband der Porzellan- und Edelgeschirr-Fachgeschäfte. Die haben mich angefragt, ob ich ein Konzept entwickeln könnte für italienische Wochen in verschiedenen Innenstädten. Dann hab ich mir was überlegt, und zwar eine fahrbare venezianische Gondel. Die fuhr das erste Mal in Mainz. Ich schwebte die Fußgängerzone auf und ab und habe damit auf die Veranstaltungen aufmerksam gemacht, die in den Geschäften stattfanden. Das war die Geburtsstunde der venezianischen nonsenso-Gondel. Es war lustig. Und das hat sich dann so weiterentwickelt.

Und dann hast du daraus ein Riesenprogramm gemacht?

Ich habe gemerkt, dass es einen Markt dafür gibt und habe dann versucht, das Konzept visuell hochwertig umzusetzen – mit schönen Gondeln, mit Performern als venezianische Gesellschaft, mit diversen Figuren und einer Porträtmalerin. Oder mit einem Streichquartett. Das eine hat das andere ergeben. Und wenn du infolgedessen einen Namen als Fachmann für italienische Performances hast, dann kommen die Anfragen von ganz alleine.

Wie viele Künstlerinnen und Künstler hast du dann dabei? Wird das je nach Auftrag angepasst?

Die venezianische Gesellschaft kann man mit zwei Figuren buchen, aber auch mit zwanzig. Da hab ich auch schon mit vielen Kollegen zusammengearbeitet wie dem Zebra-Stelzentheater. Die haben dann eben in venezianischen Kostümen die erste Etage bespielt (lacht). Wir waren unten, die oben. Das ist flexibel.

Konzipierst Du aktuell etwas Neues?

Ja, da wächst was, aber das ist noch nicht spruchreif.

Was macht deiner Meinung nach gutes Straßentheater oder Theater im öffentlichen Raum aus?

Die venezianische Gesellschaft als Straßentheater

Die venezianische Gesellschaft als Straßentheater

Gut ist, was alle ansprechen kann, also von klein bis groß. Was unterhaltsam ist und ein gewisses Niveau hat. Straßentheater ist ja auch ein dehnbarer Begriff. Eine lebende Statue vor dem Dom ist für mich kein Straßentheater. Sondern alles, was berührt und die Leute fesselt. Das kann sich langsam dramaturgisch aufbauen. Wichtig ist, dass du beim Straßentheater ständig lieferst, damit die Leute gebunden bleiben. Das ist die hohe Kunst dabei! Du bist ständig auf der Suche nach neuen Gags, mit denen du das Publikum hältst. Du musst also offen sein für alles, was bindet, und das mit einer gewissen Qualität. Das macht gutes Straßentheater aus – es muss berühren und die Leute mitnehmen.

Wie finanziert sich Straßentheater eigentlich? Wer zahlt dafür und warum?

Gelegentlich wird unsere Kunst ja auch mal von der Politik unterstützt. Und es gibt Festivals, auf denen man wirklich gutes Geld verdienen kann. Aber das ist nichts im Vergleich zu Frankreich oder Italien. Dort wird mehr gefördert und das sehr intelligent. In Frankreich gibt es zum Beispiel Winterstipendien, die den Künstler:innen ermöglichen, den Winter über ein neues Programm einzustudieren. Dafür werden auch Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Hier gibt es sowas nicht. In Deutschland ist es sehr schwierig, ein sehr gutes, niveauvolles Straßentheater zu entwickeln.

Inwieweit ist Theater im öffentlichen Raum politisch?

Durch die große Nähe zum Publikum entsteht eine große Gemeinsamkeit. Man versammelt sich wie um ein Lagerfeuer und man erlebt etwas zusammen. Etwas Pures. Und wenn im Theater vorgelebt wird, wie ein Konflikt gelöst werden kann – friedlich, durch reden –, dann ist das ein gutes Beispiel. Da Straßentheater so nah und unmittelbar ist, erreicht es die Menschen.

Wie kann Straßentheater dabei unterstützen, die Innenstädte nach der Pandemie zurückzuerobern?

Bei unserem ersten Auftritt nach der Pandemie im September bei der Bundesgartenschau in Erfurt hat uns das Publikum abgefeiert. Man hat gemerkt, wie geil die Leute darauf sind, dass sie dieses gemeinsame Erleben wieder haben. Inzwischen ist das fast wieder normal. Jetzt geht es darum, diesen Normalzustand festzuhalten und weiterzuentwickeln. Wir haben gemerkt, wie wichtig das Draußen ist und was man dort erleben kann. Jetzt ist es die Aufgabe der Kulturpolitik und der Verwaltungen, das zu fördern.

Du engagierst dich ja auch ehrenamtlich politisch?

Mario Michalak ist bekannt für seine bewegende Figuren, Skulpturen, die alle in ihren Bann ziehen

Mario Michalak ist bekannt für seine bewegenden Figuren und Skulpturen, die alle in ihren Bann ziehen

Ich bin im Rat der Stadt Köln und dort im Kulturausschuss und drei anderen Ausschüssen. Mit der Gründung des Bundesverbandes Theater im Öffentlichen Raum, bei dem ich auch im Vorstand war, hat sich die Szene sehr gut professionalisiert, tauscht sich aus und vertritt ihre Interessen. Das ist pure Lobbyarbeit, die total wichtig ist. Aber das reicht noch lange nicht aus. Aus mehreren Gründen. Weil es politisch unglaublich schwierig ist, dafür Fördergelder in ausreichendem Maße zu akquirieren. Und zweitens ist es oft so, dass die Verwaltungen in den Städten verhindern, dass du spielen kannst. Es gibt das Amt für die Grünpflege, die haben dann Angst um die Grünflächen, wenn du draußen spielst. Deswegen darfst du dann da nicht spielen und bekommst keine Genehmigung. Dann gibt es das Ordnungsamt, das keine Genehmigung erteilt, weil du zu laut bist auf dem Platz und das könnte dann die Anwohner stören. Oder es gibt die Baupolizei, also das Bauamt, das dann aus irgendwelchen völlig absurden Gründen untersagt, dass dort gespielt werden kann. Da ist großer Interpretationsspielraum für einzelne Verhinderer oder Möglichmacher. Und das ist das, womit ich mich nicht zufrieden gebe. Es geht gar nicht nur um die Finanzierung, es geht auch um die Möglichkeiten und die Umsetzung.

Mario, wir danken dir für das Gespräch.