Rabenmütter — Eine artistische Auseinandersetzung
Lena Ries, Romy Seibt und Anke van Engelshoven kannten sich schon aus einem anderen gemeinsamen Projekt, bevor sie Still Hungry gründeten. Mit dem Programm »Raven« haben sie alle drei ihre Rolle als Mütter und Vollblutartistinnen aufgearbeitet. Das Wort »Rabenmutter« ist so gut wie nur in der deutschen Sprache zu finden, die Abqualifizierung berufstätiger Mütter aber keine rein deutsche Spezialität.
Anke van Engelshoven
Sie schloss 2001 ihr Studium in der »Etage« ab und arbeitete für Produktionen wie den Cirque du Soleil, 7 Fingers, das Chamäleon Theater und Wintergarten. Sie spezialisierte sich auf Strapatenartistik, Trapez, Seiden und Ketten. Auch Romy Seibt absolvierte an der Hochschule für darstellende Kunst »Die Etage« in Berlin und spezialisierte sich auf Partnertrapez und Vertikalseil. Seitdem hat sie auf der ganzen Welt in vielen verschiedenen Produktionen gearbeitet, darunter beim Festival Japan, Daidogei World Cup, Cirque du Demain Paris, GOP, Chamäleon Theater, Urbanatix, Rockcircus Switzerland. Sie entwickelte außerdem eine einzigartige Technik mit dem Meteor, einem speziellen Jonglagegerät, das aus zwei Gewichten, die mit einem Seil verbunden sind, besteht. Lena Ries studierte in Kanada. 2004 machte sie ihren Abschluss an der National Circus School of Montreal und arbeitete weltweit in vielen internationalen Produktionen, wie Cirque Eloize, 7 Fingers, New Circus Asia, Tiger Lillies, Chamäleon Theater, GOP, Wintergarten. Sie arbeitet mit dem Areal Hoop, als Schlangenfrau und Tänzerin.
Die drei Künstlerinnen setzten sich zusammen und dann auseinander mit ihrer Rolle als Mutter und freiberuflicher Vollblutartistin und gesellschaftlicher Erwartung. Herausgekommen ist ein fantastisch feministisches abendfüllendes Programm, das theatrale Mittel und Artistik aufs Schönste amalgamiert.
Die Reise beginnt auf dem Sofa. So auch für die drei Frauen.
Das Sofa stand auf der Bühne des Chamäleon-Varieté-Theaters in Berlin, der Stadt, wo die drei auch zu Hause sind. Es war ein Residenzprogramm ausgeschrieben, für das Anke, Lena und Romy recht schnell ein Konzept entwickelten, denn sie wollten ein ganz persönliches Stück machen. Anke: »Wir wollten über die Schwierigkeit sprechen, unseren Beruf und das Mutterdasein zu verbinden. Dass wir alle drei Mütter sind, verbindet uns. Es ist natürlich in jedem Beruf schwierig, aber in unserem noch mal so ein bisschen spezieller, weil es einfach sehr körperlich ist und eigentlich bedeutet, dass man viel auf Tour ist oder abends arbeitet. Es ist spannend, das als Thematik zu nehmen. Denn natürlich hatten wir das Gefühl, wir können es irgendwie niemandem recht machen und werden auch sehr schnell von außen verurteilt. Wie man’s macht, ist es falsch: deshalb Rabenmütter!«
Das Programm fand nicht nur im Chamäleon eine erfreute Abnehmerin. Die drei gastierten seit 2018 bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen, dem berühmten Edinburgh Fringe Festival und in Kanada. In Schottland gab es honorige Preise. Gleich im Doppel. Sie wurden Siegerinnen beim Fringe First Award 2019 der Zeitung The Scotsman, und sie kamen auf Platz eins beim Winner of Three-Weeks Edinburgh Award 2019. Außerdem waren sie auf der Shortlist für den Total Theatre Award for Circus 2019.
Die Raben kamen an. Auch in Kanada. Denn das Stück wird international verstanden. Anke van Engelshoven: »Wir sprechen halt auch die Zirkusindustrie an mit unserem Stück. Es hat viele feministische Aspekte – zum Beispiel, dass es immer noch Gang und Gäbe ist, dass Frauen in einem gewissen Alter von der Bildfläche verschwinden und dann einfach nicht mehr da sind. Dieser Anspruch an Akrobatinnen, nicht nur körperlich, sondern auch sonst in allen Lebensentscheidungen extrem flexibel zu sein, um gewisse Jobs machen zu können, darum geht es in unserem Stück. Ja, und das ist natürlich feministisch.« Folgerichtig gastierten sie mit »Raven« beim Femme Festival in Vancouver. Die anschließende Kanadatournee im April 2023 ergab sich übrigens daraus, dass sie in Edinburgh auch vor internationalen Bookern aufgetreten waren.
Anke Engelshoven resümiert: »Die Resonanz auf Raven ist bis jetzt auch in anderen Ländern sehr gut gewesen. Wir haben die Erfahrung, dass sich die Zuschauer:innen ganz unterschiedlich von unserem Stück angesprochen fühlen. Viele kommen danach zu uns und sind ganz erleichtert, dass wir so ehrlich über die Themen und Schattenseiten von Mutterschaft sprechen und fühlen sich eingeladen, sich mitzuteilen oder miteinander ins Gespräch zu kommen. Gerade andere Artistinnen sind oft sehr bewegt, dass wir die Schwierigkeiten als Frauen und Mütter über 35 inden darstellenden Künsten zum Thema machen. Von vielen jüngeren Artisten und Artistinnen haben wir das Feedback erhalten, dass wir ihren Horizont erweitern konnten, da sie sich oft noch gar nicht mit diesen Themen auseinandergesetzt haben.«