Tim und Luzie

Chancen an der Artistenschule

Auch in diesem Jahr haben wir Tim und Luzie in Berlin an der Artistenschule besucht. Luzie ist seit wenigen Tagen 18 Jahre alt, bei Tim dauert das noch ein wenig. Wir haben die beiden zum Mittagessen getroffen und sie haben erzählt, was sie in den vergangenen zwölf Monaten bewegt hat.

Luzie ist mit ihren Eltern umgezogen – sie wohnen jetzt noch ein Stückchen weiter außerhalb. Die Fahrtzeit zur Staatlichen Artistenschule beträgt nun anderthalb Stunden je Strecke. Doch das neue Haus liegt am See und beim abendlichen Sprung ins Wasser ist die lange Fahrt schnell vergessen.

Sie hat ein Jahr der Entscheidungen hinter sich. Nachdem wir sie das letzte Mal gesehen hatten, war sie plötzlich krank, lag im Bett und konnte vier Wochen lang nicht aufstehen. Die Batterie war leer, etwas musste sich verändern. Luzies Situation: 56 Wochenstunden Unterricht inklusive Training, täglich die lange Fahrt nach Berlin dazu – da blieb nicht mehr viel Zeit. Und die musste zum Lernen ausreichen. Was sie nicht tat. Der Familienrat tagte und entschied gemeinsam: Die Artistik hat Vorrang, das Abitur kann man auch später nachholen. Und somit wechselte Luzie innerhalb der Schule in den Berufsschulzweig und kann nun auch manchmal schon vor der Schule in den See springen.

Luzie musste sich eine Auszeit von der Artistenschule nehmen.

Luzie musste sich eine Auszeit von der Artistenschule nehmen.

Verändert hatte sich Luzies Schulsituation schon vorher durch einen Anruf ihrer Freundin Maja, mit der sie zusammen im Duo Handstand-Artistik macht. Machte! Denn Maja informierte sie, dass sie die Schule verließe. Das war nicht lange vor der Prüfung im Mai, bei der es um Weiterbestehen auf der Schule ging. Luzie musste also fix eine neue Nummer einstudieren. Sie entschied sich für Kontorsion am und im Ring und bestand die Prüfung mit Bravour. Und genauso erfolgreich ging es auch weiter: Sie wurde vom Casting des Friedrichstadt-Palastes für die Kindershow eingeladen und konnte es für sich entscheiden. Das bedeutet Auftritte und viel Bühnenerfahrung im kommenden November bis Januar für Luzie. Darauf freut sie sich.

Die Auftritte – das sind die Highlights in Luzies Leben – dafür lohnt sich die ganze Anstrengung. Das Lampenfieber davor und dann der Schritt auf die Bühne und die absolute Konzentration auf sich selbst und die Nummer. Luzie ist dann wie im Tunnel, hört die Musik kaum noch und weiß gar nicht, ob das Publikum applaudiert hat. Das muss dann immer ihre Mutter berichten.

Bei der nächsten großen Chance ist die Mutter nicht dabei. Luzie reist mit Tim und der ganzen Klasse nach Frankreich zum Festival »Le Mans Fait Son Cirque«. Sie führen dort die Show »Piszipline« auf, die sie aktuell einstudieren. Wenn Luzie Glück hat und ihre Nummer gefällt, folgt darauf ein Engagement für zwei bis drei Monate in Frankreich.

Viel Konzentration und Training stecken hinter Tims Tricks.

Viel Konzentration und Training stecken hinter Tims Tricks.

Tim weiß gar nicht, ob er dieses »Glück« wahrnehmen würde. Er lebt jetzt in einer WG quasi neben der Schule – sein Mitbewohner ist Schüler an der Staatlichen Ballettschule, also dem anderen Zweig der Schule. Drei Monate Show-Auftritte in Frankreich – das ist verlockend. Drei Monate kein Unterricht – auch wenn das verlockend wäre, ist es schwer vereinbar mit der Abitur-Vorbereitung. Tim hatte das Glück, in der vergangenen Saison zum Cast der Friedrichpalast-Kindershow zu gehören. Auftrittserfahrung hat er damit also schon einige Monate sammeln können. Aber fürs Abitur muss er lernen – zufliegen wird es ihm nicht. Bei einigen Mitschülern kommt ihm das so vor – die Schule hatte in der Vergangenheit oft den besten Abi-Schnitt in ganz Berlin, das Niveau ist also sehr hoch.

Zwei Jahre ihrer Ausbildung an der Artistenschule müssen Luzie und Tim noch absolvieren.

Zwei Jahre ihrer Ausbildung an der Artistenschule müssen Luzie und Tim noch absolvieren.

Auch die Vorbereitungen auf die praktischen Prüfungen bringen ihn aus dem Rhythmus in Bezug auf den Aufbau seiner Show. Er trainiert oft wochenlang an einem neuen Trick und muss sich für die Prüfung dann wiederum auf andere Tricks vorbereiten. Denn dann sind die neuen Tricks noch zu unsicher, um sie zu integrieren und er muss sie hintenanstellen. Also probt er sie eine Zeit nicht und darunter leidet dann die ganze Nummer, meint er. Klar ist für ihn, dass die Arbeit an den BMX-Tricks länger dauert als in vielen anderen artistischen Disziplinen. Seine Inspiration bezieht er sich immer noch aus YouTube. Die Tricks, die ihn begeistern, zeigt er seiner Lehrerin und gemeinsam erarbeiten sie sich die Abläufe, die er trainieren muss.

Tim und Luzie haben nun noch zwei Jahre vor sich – ihre Abschlussprüfung wird im Juni 2020 stattfinden. Wir wünschen ihnen viel Glück und hoffen, dass sich weiterhin viel für sie fügen wird. Wir haben absoluten Respekt vor dem, was sie so jung schon zu leisten bereit sind.