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MICE-Expertinnen im Gespräch

Welchen Veränderungen war die MICE-Branche auch schon vor Corona, Inflation und Krieg unterworfen und welche Perspektiven zeichnen sich für die Zukunft ab? Das sind Fragen, die vier MICE-Expertinnen der showcases beantwortet haben. Dazu gehören Tanja Knecht, Brand Ambassador der IMEX Group und Gründerin der MICE Ladies, Tanja Schramm von Meet Germany in Berlin, Nicole Stegmann, die Macherin der Locations Messen, und Silvia Ganser, Geschäftsführerin der 42 Incentive GmbH in Frankfurt/Main.

Was sind die wesentlichen Entwicklungen in der MICE-Branche in den letzten zwei Jahrzehnten?

Tanja Knecht ist Brand Ambassador der IMEX Group und Gründerin der MICE Ladies

Tanja Knecht: Pandemiebedingt ist die Digitalisierung so richtig in unserer Branche angekommen. Ich schätze, wir haben hier eine Entwicklung gesehen, die ansonsten ca. zehn Jahre gebraucht hätte. Wir haben aber auch gesehen, dass die persönliche Begegnung nicht zu ersetzen ist. Gleichzeitig sehen wir, dass diese persönlichen Verbindungen tiefer gehen – wir Menschen sind soziale Wesen und Anbindung ist eines unserer Grundbedürfnisse. Ich denke, wir werden weiterhin diesen Shift sehen von Quantität zu Qualität: Viele Meetings, wie zum Beispiel eine Hauptversammlung, können mittlerweile wunderbar digital abgebildet werden. Wenn wir uns aber persönlich treffen, muss das ein wirklich gutes Konzept und einen Mehrwert haben und damit Impact liefern. Spannend sind auch neue Formate, die durch geänderte Business-Needs entstehen. Durch remote Arbeiten rücken kleinere Team-Meetings und Workations, die Arbeiten und Urlaub verbinden, in den Blickpunkt.

Ich persönlich sehe auch große Chancen für alle Programme, die es verstehen, diese Formate zu integrieren. Das sind ideale Ansätze für Change und intensive Begegnungen. Beispiele hierfür sind Teambuildings oder Incentives in den Bergen mit Elementen wie Waldbaden, Meditationen in der Natur oder Wandern und auch Elemente, die aus der Komfortzone locken wie Klettern. Natürlich nur professionell angeleitet. Solche persönlichen Begegnungen und Experience-Formate mit Mehrwert, die Menschen über gemeinsame Erlebnisse verbinden und so Impact kreieren, entwickeln wir auch für unsere Reisen mit unserer Community MICE Ladies – auch hier sehen wir durch die begeisterten Feedbacks der Teilnehmerinnen, dass die persönliche tiefere Begegnung jetzt »dran« ist. Ein relativ neues Thema ist der Fachkräftemangel, der unsere Branche hart trifft. Hier gilt es, neu aus der Box zu denken und neue Arbeitsmodelle zu entwickeln.

Tanja Schramm: Ich bin seit 2003 selbstständig und konnte die Entwicklung hautnah miterleben. Die Branche ist geprägt davon, immer Neues und Außergewöhnliches zu bieten und zu präsentieren. Orientiert wurde sich stark an internationalen Märkten wie den USA oder auch Asien. Es gab immer wieder neue Trends, Formate und Technologien. Zu dem größten Wandel und Sprung in der Entwicklung unserer Branche führte die Zeit der Pandemie. Sie zwang uns, uns neu zu entdecken. The men, die auch vor der Pandemie eine große Relevanz hatten, wie beispielsweise Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Klimawandel und die Mobilitätswende, wurden nach vorne katapultiert. Es sind komplett neue Möglichkeiten, Strukturen und Angebote entstanden, die unter normalen Bedingungen mehrere Jahre gedauert hätten.

Silvia Ganser, die Geschäftsführerin der 42 Incentive GmbH in Frankfurt am Main

Silvia Ganser, die Geschäftsführerin der 42 Incentive GmbH in Frankfurt am Main

Silvia Ganser: Wie in vielen anderen Bereichen haben sich die Themen Digitalisierung, Globalisierung und Konsum stark verändert. Digitalisierung und auch die Globalisierung haben unsere Branche und das Live-Erlebnis stark beeinflusst. Unsere Kunden sind schneller geworden. Wir sind es auch.

Nicole Stegmann: Die wesentlichsten Veränderungen und Fortschritte in unserer Branche sind tatsächlich durch die Pandemie entstanden, als die sofortige digitale Umsetzung notwendig wurde. Allerdings zeigen Online-Meetings und -Events auch, dass Live-Begegnungen unersetzlich sind. Die Pandemie lehrte uns, soziale Begegnungen und somit auch Live-Events schätzen zu lernen. Auch der Trend der Globalisierung und der internationaleren Events ist durch die Pandemie zurückgegangen. Meines Erachtens wird in der Eventbranche wieder mehr Wert auf Regionalität gelegt, was eine positive Entwicklung für nachhaltiges Handeln darstellt.

Haben sich Entscheidungsprozesse verändert?

SG: In den letzten 20 Jahren ist alles prozessorientierter geworden, insbesondere bei den großen Konzernen. Natürlich auch das Thema Compliance. Margenbesteuerung und Datenschutz beeinflussen nicht die Entscheidung an sich, aber alles ist administrativer geworden.

NS: Die sich stetig ändernden Rahmenbedingungen und Vorgaben, wie die zur Pandemie, fordern eine höhere Flexibilität. Planungen sind kurzfristiger geworden und fordern von unserer Branche kurzfristige Entscheidungsprozesse und noch mehr Kreativität.

TS: In den letzten Jahren sind auch neue Berufszweige und Bereiche entstanden. Das verändert vor allem bei den mittelständischen Unternehmen den Entscheidungsprozess enorm.

TK: Gerade die Themen Lieferkettenbetrachtung und Nachhaltigkeit werden zunehmend als zentrale Vorgaben über den Einkauf gesteuert. Das ist so bei Konzernen, aber zunehmend auch beim Mittelstand. Was Entscheidungen und Planungshorizonte für Projekte anbelangt, ist alles extrem kurzfristig geworden. Dieser Trend zeichnete sich vor Corona bereits ab und wurde durch die Pandemie noch verstärkt. Die Anforderungen für die Projektplanung sind immens – oftmals schwenken Kunden kurzfristig wieder von Live-Events auf virtuelle Events um. Für Agenturen sind die inhaltlichen Anforderungen, aber auch die psychosozialen Anforderungen wie Resilienz und Stressmanagement enorm gewachsen.

Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit und Diversität?

NS: Nachhaltigkeit ist schon lange im Gespräch, jedoch wird es Jahr für Jahr realer, da die Auswirkungen des Klimawandels immer deutlicher spürbar werden. Deshalb ist Nachhaltigkeit ein elementares Thema, das die Basis für zukünftiges Handeln sein muss. Dabei sind Inklusion und Diversität unverzichtbar. Für mich bedeutet Diversität, dass wir allem offen gegenüber sein sollten. Toleranz leben, ohne uns in allzu großen Vorgaben zur Diversität zu verstricken, ist meiner Meinung nach der richtige Weg.

Nicole Stegemann ist die Macherin der Locations Messen

Nicole Stegemann ist die Macherin der Locations Messen

TK: Beide Themen sind so richtig angekommen, gesetzt und werden natürlich bleiben. Nachhaltigkeit in unserer Branche begann vor ca. 20 Jahren mit einzelnen Projekten, Initiativen und Aufrufen, die teilweise sogar noch belächelt wurden. Hier sind wir als Branche ein relativer Spätzünder. Nun steht fest: Wir müssen uns wandeln – und das geht nur miteinander. Hier gibt es aktuell ganz wunderbare Initiativen und Kollaborationen, die Mut machen. Aber es muss noch viel weiter gehen. Denn ehrlicherweise ist die nachhaltigste Veranstaltung diejenige, die nicht stattfindet. Zumindest auf die rein ökologische Betrachtung bezogen. Allerdings entsteht Veränderung durch Begegnung und Emotion. Das heißt, wir müssen unsere Veranstaltungen inhaltlich anpassen und unsere ökologischen Hausaufgaben machen.

Auch Diversität in allen Facetten spielt eine große Rolle. Dazu gehört auch das Thema »Gender Equality« – hier haben wir in einer aktuellen Umfrage gesehen, dass wir sogar schlechter dastehen als vor fünf Jahren. Angesichts der Tatsache, dass wir einen deutlichen Frauenüberhang in unserer Branche haben, ist es erstaunlich, dass wir hier so konservativ unterwegs sind. Zumal hier auch Antworten beim Fachkräftemangel liegen könnten! Wenn wir es schaffen, kreativ und groß zu denken und moderne Arbeitsmodelle wie Führungsjobs in Teilzeit, Job-Sharing, Remote etc. zu integrieren, machen wir uns auch attraktiv. Für die neue Generation sehe ich aber auch beispielsweise bei Müttern, dass viel Potenzial durch die Teilzeitfalle verloren geht.

Tanja Schramm von der Meet Germany Berlin

TS: Außerdem hat sich unsere Branche auf einen Markt eingestellt, der divers ist. Wir sind toleranter und offener geworden und entwickelten interkulturelle Kompetenzen wie sprachliche Zugänglichkeit, Anpassungen des Catering sowie die Förderung der Gleichberechtigung der Frau im Arbeitsmarkt. Auch das Thema Nachhaltigkeit ist nicht mehr wegzudenken. Ich kenne keine Firma aus der MICE-Branche, die sich mit diesem Thema nicht eingehend beschäftigt. Bei Ausschreibungen von größeren Konzernen wird die Umsetzung der Nachhaltigkeitskriterien vorausgesetzt.

SG: Klar, Nachhaltigkeit ist ein großes Thema, und viele Kunden möchten einen aktiven Beitrag leisten, um einen Incentive oder den Event nachhaltiger zu gestalten, ohne darauf verzichten zu müssen. Nachhaltigkeit ist so unglaublich vielschichtig und wir sehen in jedem Projekt Möglichkeiten, hier aktiv etwas beizutragen. Noch nicht alle setzen es dann auch um, aber man merkt eine deutliche Bewegung und stark steigende Bereitschaft, hierfür auch ein Extrabudget bereitzustellen.

Wie schaust Du in die Zukunft und was wünscht Du Dir?

SG: Selbstverständlich haben wir alle unsere Aufgaben und insbesondere das Thema »Klimawandel« wird uns in den nächsten Jahren stark beschäftigen. Insgesamt sehe ich der Zukunft der MICE-Branche positiv entgegen. Insbesondere mit der Digitalisierung werden Live-Erlebnisse auf Corporate-Ebene immer wichtiger. Darüber hinaus wünsche ich mir persönlich wieder etwas mehr »Normalität« im täglichen Miteinander. Wir alle wissen: Immer nur höher, schneller und weiter kann es am Ende nicht sein.

TS: Für die Zukunft wünsche ich mir wieder mehr Planungssicherheit, mehr Mut und weniger Einschränkungen und Hürden. Wir werden einen Weg finden müssen, mit den aktuellen Themen umzugehen. Hier ist es wichtig, den Markt und vor allem die Planer sicher zu machen.

»Ellbogen war gestern. Das neue Miteinander ist bunt, divers und macht Spaß!«

NS: Die derzeitigen äußeren Einflüsse sind sehr kräftezehrend und machen es kaum möglich, Strategien und Pläne für die Zukunft festzulegen oder verlässliche Aussagen zu treffen. Deshalb wünsche auch ich mir wieder mehr Planungssicherheit.

TK: Ich wünsche mir ein neues Miteinander im beruflichen Umfeld. Ich bin da recht optimistisch, denn die immensen Anforderungen, denen wir uns aktuell stellen müssen, lassen nur einen Weg zu: den des Miteinanders. Ellbogen war gestern. Das neue Miteinander ist bunt, divers und macht Spaß, weil es Menschen eint, zusammen für ein höheres Ziel zu arbeiten, das über die Ziele der einzelnen Menschen hinausgeht. Das motiviert und vereint.

showcases: Danke euch allen für das Gespräch!