Große Welt der Kleinkunst
Pfingsten 2014 die Sonneninsel Usedom in der Ostsee bittet zum Internationalen Kleinkunstfestival. Und das mittlerweile schon seit 15 Jahren. Seit dem ersten Festival im Jahr 2000 sind bereits über 250 Straßenkünstler auf der Strandpromenade von Heringsdorf aufgetreten. Die unterschiedlichsten Genres der Straßenkunst treffen hier jährlich aufeinander: Straßentheater, Pantomime, Zauberei , Jonglage, Artistik , Living Dolls, Puppentheater, Feuershows , Seifenblasenkünstler.
38 Künstler präsentieren Kleinkunst aus 14 Ländern
Dieses Jahr hatte das Team um Georg Kurze und Kersten Fubel die Qual der Künstler-Auswahl, denn es gab mehr als 180 Bewerbungen von Kleinkünstlern. Das ist absoluter Rekord für das Kleinkunstfestival und stellte das Auswahl-Komitee vor eine anspruchsvolle Aufgabe, die mit Bravour gemeistert wurde. Denn die Auswahl, die getroffen wurde, konnte sich absolut sehen lassen. Insgesamt 38 Künstler aus 14 Ländern sind auf die Sonneninsel angereist, um ihre Kleinkunst darzubieten. Weiteste Anreise hatte der Künstler Hiyro aus Japan, der ganze zweieinhalb Tage unterwegs war.
Living Doll vs. Artistik
Am Freitag ging es dann bei strahlendem Sonnenschein auf der Strandpromenade in Heringsdorf los mit den ersten Kleinkunst-Wertungsauftritten. Jeder Künstler hatte einen Wertungsauftritt vor der Jury – bestehend aus einer Fach- und einer Schüler-Jury – zu absolvieren. Die achtköpfige Fach-Jury kommt nicht nur aus dem Bereich Kleinkunst und bestand in diesem Jahr aus Anke Gerber (Mime und Kommunikationstrainerin), Jacqueline Massé (Trainerin für Zirkusschulen, unter anderem für das Sozialprojekt Cirque du Monde für den Cirque du Soleil im Einsatz), Holger Thiemann (Projektleiter der Internationalen Kulturbörse Freiburg), Matthias Hille (Mitbegründer des Straßen- und Aktionstheaters Kamaduka), Constantin Lülsdorf (Leiter Vorderhaus und Event im Friedrichstadtpalast Berlin), Reinhard Reim (Pantomime und Comedy-Aktions-Künstler), Franz W. Lasch (besser bekannt als Clown Locci oder Arnold Böswetter) und Jens Kahnert (Eventbranchenverzeichnis memo-media). Die einzelnen Auftritte wurden nach unterschiedlichen Kriterien bewertet. Die Herausforderung, die sich der Jury immer wieder stellt, ist die Vielfalt der Kleinkunst-Genres der auftretenden Künstler. So ist es beispielsweise unheimlich schwer, eine Living Doll mit einem Artistik-Trio zu vergleichen. Bewertet wurden Kleinkunst-Kriterien wie Publikumswirksamkeit, Originalität der Darbietung oder auch die Einhaltung der vorgegebenen Auftrittszeiten.
„Bei dem Auszählen der Punkte werden am Ende das beste und das schlechteste Ergebnis aus der Wertung gestrichen, um möglichst immer den optimalen Durchschnitt zu erhalten. Daher muss die Fach-Jury auch aus mindesten sieben Teilnehmern bestehen“ erklärt Georg Kurze das Punktesystem. Die besten fünf Straßenkünstler erhalten dann Preise im Wert von 250,- bis 1.000,- Euro. Darüber hinaus gibt es immer noch einen Sonderpreis der Jury. Dieser ging dieses Jahr an die polnische Puppenspielerin Ola Muchin, die mit ihrer originellen Darbietung mit einem überraschenden Ende überzeugte.
Christoph Buchfink lässt die Puppen tanzen
Der erste Platz ging ebenfalls an einen Puppenspieler. Christoph Buchfink mit seinem Buchfink-Theater war zu Tränen gerührt, als die Jury-Sprecherin Anke Gerber den ersten Platz bekanntgab. Über 1.000 Euro Preisgeld konnte sich der Göttinger freuen. Was für ihn jedoch wesentlich mehr zählte, war das tolle Feedback des Usedomer Publikums auf seine neue Figur, den „Bett-Män“. Dieser ist eine herrliche Persiflage auf Gesundheitsreformen und den alltäglichen Kampf im Wartezimmer zwischen Privat- und Kassenpatienten. Opa Häwelmann wird von seinem Leibarzt Doktorchen Schröder in seinem Krankenbett durch die Gegend gefahren und philosophiert mit ihm über Pillenwahn, korrupte Pharma-Vertreter und leere Bettpfannen oder auch leere Konten der armen Ärzte. Buchfink bespielt mit seinen Figuren auf humorvolle Art und Weise Szenen, die jeder schon mal im wahren Leben erlebt hat. Das hat nicht nur das Usedomer Publikum, sondern auch die Fachjury überzeugt.
Von der blütenreinen Weste zum farbenprächtigen Gesamtkunstwerk
Den zweiten Platz belegte Johnman aus Berlin mit seiner neuesten Kreation, der Living Doll „Blanco“. Die Idee, die dahinter steckt ist so genial einfach, dass sie einfach genial ist. Johnman steht komplett in weiß gekleidet auf einer kleinen Bühne, auf der ringsum Farben in allen Variationen stehen: kleine Farb-Töpfe, Pinsel, Fingerfarbe und vieles mehr. Und schon kann es losgehen. In formvollendeter Living Doll Manier versteht sich John sehr gut darauf, einfach still zu stehen. Zwei Minuten vergehen, bis der erste Betrachter sich vorsichtig an die Bühne heranpirscht, sich die Farbauswahl genau betrachtet, vorsichtig einen Pinsel in die Hand nimmt und zögerlich den ersten Strich auf das schneeweiße Kostüm von John malt. Einer stillen Anweisung folgend lösen sich immer mehr Zuschauer aus dem Publikum und treten näher an die Bühne heran. Keine zehn Minuten später sieht man kaum noch einen weißen Fleck an John. Nach der Aktion ist auch Johnman deutlich erleichtert, denn er erlebte auch schon Auftritte, bei denen der erste Strich bis zu drei Stunden auf sich warten ließ. Da er auf dem Festival aber nur 30 Minuten zur Verfügung hatte, war nicht absehbar, ob die Darbietung überhaupt funktionieren würde. Doch das Konzept geht voll auf und die Farbe von Johns Klamotten wohl nie wieder ab. Aber das muss sie auch nicht, denn John hat einen ganzen Vorrat an weißen Anzügen im Schrank für seine nächsten Auftritte hängen.
Wenn drei sich streiten, fliegt auch schon mal einer durch die Luft
Doch Kleinkunst muss nicht immer klassisches Straßentheater oder Puppenspiel bedeuten. Artistische Meisterleistungen konnte man beim Auftritt des Trio Satchok sehen. Das Trio um Galatée, Tim und Marius lernte sich auf der Zirkusschule in Tilburg kennen und ist seitdem weltweit unterwegs. Hand auf Hand, Hand auf Schulter, Kopf auf Kopf, Fuß auf Schulter, Fuß im Gesicht – alle Variationen beherrscht das Trio aus dem Effeff und ließ dem ein oder anderen Zuschauer den Atem stocken. Der Applaus, den es nach dem Wertungsauftritt gab, schallte noch nach Minuten bis ins entfernte Seebad nach Bansin. Doch nicht nur das Publikum war begeistert, auch dem ein oder anderen Juror stand bei manchen Figuren der Mund offen und brachte dem Trio den dritten Platz ein.
Italien gegen Deutschland – nicht nur im Fußball ein Klassiker
Der vierte und der fünfte Platz lagen in der Wertung sehr eng beieinander. Wie auch schon bei der EM 2012 konnte sich Italien allerdings knapp durchsetzen, so dass Platz vier an das Duo Nanirossi aus Italien ging. Das Paar überzeugte mit ihrer sympathischen Art der klassischen Straßenkunst. Platz fünf blieb somit dann in Deutschland bei Monsieur macht Kunst, der sein artistisches Können am Schlappseil, ein weiteres Genre der Kleinkunst, unter Beweis stellte.
Kleinkunst auch im Catering-Zelt
Kulinarische Highlights gab es das ganze Wochenende über von Sven Fischer und seiner FunFoodFactory aus Berlin. Auch das ist mittlerweile schon Tradition beim Usedomer Kleinkunstfestival. Im Cateringzelt gab es dann das ein oder andere Stelldichein, und man konnte hier den unterschiedlichsten Sprachen lauschen und bei leckerem Essen mit den Künstlern ins Gespräch kommen.
Bei der ausverkauften Varietégala am Samstagabend konnte man dann viele der Straßenkünstler auch auf der Bühne bewundern. Durch den Abend führte Tausendsassa Karl-Heinz Helmschrot und begeisterte die Gäste mit Wortwitz und Schlagfertigkeit. Regie beim diesjährigen Varieté am Meer führte der Schirmherr des Festivals Robert Woitas.
Das Team des Fördervereins, das nur aus ehrenamtlichen Mitgliedern besteht, hat wieder mal ganze Arbeit geleistet und das Kleinkunst-Festival zu einem vollen Erfolg gemacht. Nicht nur die Künstlerauswahl überzeugte, sondern die ganze Atmosphäre des Festivals, die die Kleinkunst so groß macht! Wir freuen uns schon aufs nächste Jahr, wenn es wieder heißt: „Lassen Sie sich verzaubern durch die große Welt der Kleinkunst.”