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Lehrjahre sind keine Herrenjahre! Echt nicht?

Aller Anfang ist leicht, weil alle so nett sind. Später sterben erst die genialsten Ideen, dann die sozialen Kontakte, dann der Glaube ans eigene kreative Talent, dann die Lust auf den Agenturjob als solchen. Noch später findet irgendwer irgendeine Idee ganz brauchbar, die Nachtschichten im Team sind schon ok, Pitchgewinne werden begossen, Pitchverluste auch. »Unsere Idee war trotzdem die coolste.« Und eigentlich sind wir alle eine große Familie. Heute zumindest. Prost!

Den Seinen gibt´s der Herr im Schlaf, unter der Dusche oder beim Waldbaden – glaubt die kreative Nachwuchskraft. Auf gar keinen Fall kommt ihr irgendeine gute Idee from Nine to Five im Großraumbüro. »Wieso nicht? Du lieferst, wo und wann die Idee gebraucht wird. Immer. Überall. Auf den Punkt. Genau das macht dich zum Profi,« sagt der Profi. Und überlegt still, wie lange er sich das noch antun will.

Dummheit frisst, Intelligenz säuft, das Genie macht beides. Oder ist es einfach der Stress? Jedenfalls ist bei gefühlten 80 Prozent der kreativen Berufseinsteiger:innen im ersten Agenturjahr eine mehr oder minder deutliche Gewichtszunahme zu beobachten.

Ende gut, alle weg. Nach der Prüfung – lief ganz ok – muss die zertifizierte Kreativkraft erstmal dringend weit weg. Die Starken, bzw. die Genervtesten, gehen auf Weltreise, open end, kann man sich als Konzeptioner:in heute leisten. Die Schwachen, bzw. nicht ganz so Genervten, können einem der vielen Abwerbungsversuche nicht widerstehen – Gehaltssprung! – und landen in der Nachbar-Agentur. Die Nachdenklichen bewerben sich bei 200 NGOs, meist ohne Gehaltssprung, Hauptsache was Sinnvolleres. Die chronischen Selbstüberschätzer machen sich gleich mal selbstständig. Freiheit! Erstaunlicherweise kommen sofort reichlich Aufträge rein. So war’s. Vor Corona.

Es ist noch kein CD vom Himmel gefallen. Wen wundert’s, es ist auch noch keiner hineingekommen. Dafür sind sie alle zu eitel, zu selbstgerecht, zu unfair, zu unkritisch, zu verplant, zu ignorant, zu opportunistisch, zu sexistisch, zu rücksichtslos, zu angepasst, zu cholerisch, zu greenwashig, zu unsensibel, zu willfährig gegenüber klimafeindlichen Kund:innen. Allein Letzteres reicht für die Hölle.

Geld ist nicht alles, aber es beruhigt, dass die anderen zumindest nicht mehr kriegen. Oder etwa doch? Die größte Gefahr der überbetrieblichen Weiterbildung besteht darin, dass die Teilnehmenden aus verschiedenen Wettbewerbs-Agenturen beim After-Work-Bierchen über Zahlen plaudern. Nein, nicht über die Kalkulationen beim aktuellen Pitch – laaangweilig! – sondern über Gehälter, Urlaubsgeld … Der Dienstwagen ist nicht mehr das Thema. Work-Live-Balance schon eher, aber vergleichbarer sind die Zahlen.

Handwerk hat goldenen Boden, wenn man’s denn drauf hat, das kreative Handwerk. Hat man aber nicht als frischer Hochschulabsolvent:in, woher auch? Und deshalb ist man im ersten Berufsjahr sein Geld nicht wert, sagt der:die Agentur-Chef:in, und erwartet schon ein bisschen Dankbarkeit, also nicht direkt Dankbarkeit, er investiert ja gern in den Nachwuchs, aber …

In Gefahr und größter Not ist der Mittelweg der Tod. Wäre doch ein guter Spruch für den:die feige einknickenden Chef:in. Viel präziser als das verdruckst gemurmelte »Fuck you!« kennt aber heute keiner mehr.

Zusammenfassung: Quäle nie Genies zum Scherz, denn – Schmerz hin oder her – sie sind deine Zukunft und könnten sich irgendwann furchtbar rächen.