A-cappella Pentatonix

Die A-cappella-Explosion

A-cappella-Gesang erlebt derzeit einen weltweiten Boom und begeistert Musikfans jeden Alters. Doch was ist das Tolle am Singen ohne Instrumente und elektronische Unterstützung? In unserer neuesten showcases-Ausgabe geht unser Gastautor Florian Städtler dieser Frage auf den Grund. Für alle, die das Magazin bisher noch nicht lesen konnten, liefern wir den Text hiermit online nach. Viel Spaß damit!

Wer den Facebook-Doku-Film »The Social Network« gesehen hat, der erinnert sich vielleicht an den Eingangsdialog. Student und Computer-Nerd Marc Zuckerberg beim mühsamen Date mit einer Kommilitonin. Als die beiden sich über die jeweiligen persönlichen Vorlieben und Aktivitäten austauschen, fällt gleich mehrmals das Hobby »Singing in an a cappella group«. Nicht gerade mit einem hochachtungsvollen Unterton.

So war das vor nicht allzu langer Zeit in den USA: A-cappella-Singen, das war tendenziell uncool. Die »coolen« Jungs am College, die spielten im Football-Team. Die Nerds, die Außenseiter, schlossen sich der lokalen College-A-cappella-Gruppe an. Man schrieb das Jahr 2010.

A-cappella-Gruppen mischen plötzlich die Charts auf

Und jetzt spulen wir vor – ins Jahr 2015. A-cappella, so hat man das Gefühl, ist explodiert. Meine Teenager-Töchter hören Pentatonix auf Spotify. Wir gehen mit der ganzen Familie in den zweiten »Pitch Perfect«-Film – der erste war der erfolgreichste Soundtrack in den USA im Jahr des Erscheinens. Pentatonix, die Gewinner der NBC-Reality-Show »The Sing-off« (5 Seasons), stehen in den Billboard-Charts neben Lady Gaga und touren durch die größten Hallen der Welt. In den USA wurden nach Schätzungen auf der National A-cappella-Conference in Memphis in den letzten zwei Jahren über 5.000 neue High-School-A-cappella-Gruppen gegründet.

Und nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und Asien schießen Festivals, Konzertreihen und Workshops aus dem Boden. Immer mehr Pop- und Jazzchöre, teilweise mit Band, teilweise A-cappella, bilden die Basis für kleine semi-professionelle »Vocal Groups«, von denen inzwischen auch einige im musikalischen Mainstream Erfolge feiern.

A-cappella Pitch Perfect

Mit 793.000 verkauften Exemplaren war der Soundtrack des Hollywoodfilms “Pitch Perfect” der erfolgreichste Soundtrack des Jahres 2013

Weltweit gibt es geschätzt allein 300 Millionen registrierte Sänger

Wie kam es zu dieser Entwicklung? Natürlich begann die Geschichte des unbegleiteten Singens nicht erst in den 2.000er-Jahren. Schon immer und in fast allen bekannten Kulturen war das gemeinsame Singen in Gruppen ein Kulturgut. Ob spontan oder in Vereinen, gemeinsames Singen ist eine gleichermaßen musikalische wie soziale Aktivität. Und die »Nische«, in der sich die Vokalmusik bewegt, ist alles andere als klein. Nach Erhebungen verschiedener Fachverbände gibt es auf der Welt allein 300 Millionen registrierte Sängerinnen und Sänger. Neben diesen in Chören und Chorverbänden singenden Menschen gibt es aber eine riesige Menge von nicht-registrierten Gesangsgruppen.

Und das führt uns zu einem ersten Hinweis auf die Herkunft des A-cappella-Booms. Was heute in den USA und weltweit als »Contemporary A-cappella-Music« Erfolge feiert, ist eben nicht »organisierte« Chormusik. Mit einem Maestro als Chorleiter. Mit Notenheften auf der Bühne. Mit Repertoire, das sich auf traditionelle Stilistiken wie Klassik, Volksmusik, Gospel und Barbershop beschränkt. A-cappella von heute ist eine schnell wachsende »Grassroots«-Bewegung mit jungen Arrangeuren und Chorleiterinnen.

A-cappella Pentatonix 2

Die A-cappella-Gruppe Pentatonix steht in den US-Charts neben Superstars wie Lady Gaga und tourt durch die größten Hallen der Welt

YouTube hat einen großen Anteil am Aufschwung von A-cappella-Gruppen wie Pentatonix

Die Programme bestehen aus dem, was man heute im Radio oder Web hört und sieht: Pop, Rock, Jazz, Funk, ja sogar Hiphop, Metal, Dance und Electro. Und wo hört und sieht die Generation von heute diese Musik? Richtig: auf YouTube. Die dominierende Video-Plattform des World Wide Web hat als Teil der Digitalisierung die Musikwelt verändert und Musikern und Musikgruppen ganz neue Möglichkeiten eröffnet, ihre Zielgruppen zu erreichen. Wen wundert es, dass Pentatonix ihren kometenhaften Aufstieg fast ausschließlich einer konsequenten Video-Content-Strategie verdanken? Jede Woche ein Video, teilweise einfach »unplugged« auf dem Sofa, später aufwändig im Studio produziert. Das Video »Daft Punk Medley« brachte der Gruppe tatsächlich einen Grammy für »Bestes Arrangement« ein – mehr Mainstream geht kaum.

Dem Musikhörer, Konzertbesucher, Künstleragenten und Eventplaner bietet sich heute eine kaum noch zu überschauende Auswahl an puren Stimmkünstlern. Da sind immer noch die Pioniere wie Bobby McFerrin (Jazz und World, USA) Take 6 (Gospel und Jazz, USA), The Real Group (Pop und Jazz, Schweden), Rockapella (Pop, R&B, USA), The Swingles (Pop, Jazz und Klassik, UK), Rajaton (Pop und World, Finnland), die in wechselnden Besetzungen über mehrere Jahrzehnte zu Kultgruppen der Szene geworden sind.

Die meisten A-cappella-Acts haben nichts mit dem “Schubidu-bidu”-Klischee zu tun

Die nächste Generation aber drängt nach und entwickelt das Genre (A-cappella ist ja kein Stil, sondern eine Instrumentierung!) weiter und weiter: Naturally 7 mit ihrem »Vocal Play«, der kompletten Vermenschlichung aller Instrumente. FORK mit einer einzigartigen A-cappella-Theater-Show, einer Mischung aus Rock-Oper und Stand-up-Comedy. Oder die hippe, dänische Band Postyr, die die Natürlichkeit von fünf Stimmen mit der Klangwelt der elektronischen Musik verbindet. In Deutschland gibt es neben den Platzhirschen Wise Guys, Maybebop, Slixs und Lalelu inzwischen mit Gruppen wie Delta Q, Unduzo, Onair, Muttis Kinder, Füenf und vielen weiteren mit frischen Wind und viel Originalität. Die meisten dieser Acts sind meilenweit entfernt vom immer noch weitverbreiteten »Schubidu-bidu«-A-cappella-Klischee – und begeistern genau deswegen ein breites, schnell wachsendes Publikum.