Norbert Sievers (Custom)

Das Ende des Wachstums, wie wir es kennen

Dr. Norbert Sievers studierte Soziologie und Pädagogik an der Universität Bielefeld. Seit 1982 war er als Geschäftsführer und von 2013 bis 2017 als Hauptgeschäftsführer der bundesweiten Kulturpolitischen Gesellschaft e. V. mit Sitz in Bonn tätig. Seit 2012 leitete Norbert Sievers zusätzlich das Institut für Kulturpolitik (IfK) der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V. Nach dem Ausscheiden ist er immer noch deren wissenschaftlicher Berater. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Artikel zu kulturpolitischen Themen veröffentlicht. Thematische Schwerpunkte waren Kulturpolitik und Kulturförderung sowie die Sozialkultur. Felder in denen er immer noch ein wichtiger und gefragter Kopf ist. Schon frühzeitig warnte er vor den Konsequenzen des Klimawandels für die Kultur- und Veranstaltungsbranche.

Die Kultur- und Veranstaltungsbranche steckt mit Corona gerade in einer großen Krise. Steht mit der Klimakrise, wie uns das Hochwasser an Ahr, Wupper und so weiter gezeigt hat, die nächste Krise ins Haus?

Diese Krise hat es vorher ja auch schon gegeben und dann kam Corona noch mal mit Macht dazwischen. Mit einigen Folgen für die Kunst- und Kulturszene, die alle aufgearbeitet werden müssen, wenn das alles jetzt etwas abklingt. Aber die Klimakrise bleibt natürlich trotzdem. Sie war vorher schon ein Thema, ist aber ein wenig aus dem Bewusstsein der Kulturpolitik verschwunden. Es muss jetzt darum gehen, diese Fragen wieder ganz zentral auf die Tagesordnung der Kulturpolitik zu setzen.

Du siehst es also als vorteilhaft an, wenn die Kultur- und Veranstaltungsszene sich frühzeitig selbst mit der Problematik beschäftigt, anstatt die Dinge auf sich zukommen zu lassen, anstatt zu merkeln?

Auf jeden Fall! Die Kunst- und Kulturszene tut es ja auch. Teile von ihr haben das Thema ja schon länger auf dem Plan und versuchen, sich umzustellen. Ich glaube eher, dass das Problem bei der Kulturpolitik liegt, die hier gefordert ist. Es gilt, Rahmenbedingungen für die Kunst- und Kulturszene zu setzen und eine entsprechende Förderung aufzusetzen, damit man ernsthaft mit dieser Frage umgeht. Es ist ja so, dass die Frage des Klimawandels und des Umweltbewusstseins schon in den 70er Jahren ein Thema der Kulturpolitik war, in der Folge des Club-Of-Rome-Berichts Anfang der 70er Jahre. Durch eine Neoliberalisierung der Kulturpolitik ab Mitte der 80er Jahre ist das verschwunden.

Was werden wir für Veränderungen zu erwarten haben? Wird es die großen Festivals noch weiter geben? Ich denke da an Cannes, Venedig, Bayreuth, wo Künstler:innen aus aller Herren Länder eingeflogen kommen, was für die CO2-Bilanz nicht besonders vorteilhaft ist.

Ich denke, die Festivals wird es weiter geben. Aber natürlich sind diese Festivals auch gefordert, ihre Praxis zu überdenken. Das Beispiel der Documenta, als Künstler:innen aus Kassel und Athen hin- und hergeflogen wurden, das ist sicherlich kein Vorbild. Das kann natürlich mit einer Reduktion verbunden sein. Das ist in der Kulturpolitik zwar ein schlimmes Wort, aber ich denke, wir machen uns was vor, wenn wir glauben, dass wir ohne ein Weniger bei dieser Frage auskommen. Aber das ist nicht die größte Herausforderung. Ich glaube, dass es genug Kunst und Kultur geben wird, wir müssen eben nur ein paar Stellschrauben verändern. Die sehe ich im Bereich der Festivals, aber vor allem in der Infrastrukturpolitik.

Was denkst du, welche Reserven stecken gerade in der Infrastrukturpolitik?

Vor allem geht es um das Bauen und um die Zeichen, die man damit setzt. Da ist die Kulturpolitik noch ungebrochen auf dem Pfad einer Expansion. Wir müssen schauen, dass diese großen Einrichtungen, die immer noch gebaut werden, zurückgeführt werden müssen. Ich habe ja mal ein Dekaden-Moratorium vorgeschlagen. Konkret bedeutet das, zehn Jahre lang keine neue Kultureinrichtung zu bauen. Das Geld, das man fiktiv dafür aufwenden würde – das sind ja Billiardenbeträge innerhalb einer Dekade –, sollte ausgegeben werden, um die bestehende Infrastruktur nicht nur zu sanieren, sondern vor allem energetisch zu sanieren. Und eben auch die freien Künstler:innen besser zu fördern, was ja eben nach der Corona-Krise auch offensichtlicher geworden ist. Dafür wird man Geld benötigen. Insofern kann man da zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und ich glaube nicht, dass Deutschland dadurch an Kultur verliert. Ganz im Gegenteil, man kann neue Wege gehen.

Wir müssen die Ernsthaftigkeit der Lage wirklich in unserem Handeln und im Handeln der Kulturpolitik berücksichtigen. In der Baupolitik müssen wir mehr auf Sanierung und Bestandserhalt setzen, anstatt auf Neubauten. Die Neubaupolitik wollte ja besondere Zeichen setzen und der Stadtentwicklung besondere Impulse geben. Das war auch alles richtig und gut, aber jetzt muss man die Dinge neu sehen und erkennen, dass es neue Begründungen geben muss, die sich nicht nur auf Wirtschaftlichkeit, Stadtentwicklung oder den Wettbewerb der Kommunen beziehen, sondern die Umweltaspekte als zentrale Herausforderung auf die Tagesordnung setzen.

Welche Handlungsfelder siehst du sonst noch, in denen die Kulturpolitik möglichst schnell zugreifen sollte?

Ich weiß nicht, ob man Quoten formulieren kann, die besagen, wie viele Reisen getätigt werden können und wie viele Mittel dafür verausgabt werden. Mir wäre es ohnehin lieber, wenn man zunächst auf der Überzeugungsebene bleiben könnte und für Verständnis wirbt, als die scharfen Instrumente auszupacken. Ich glaube, dass viele Akteure im Kulturbereich auch gar kein Problem damit haben.

Die Förderrichtlinien sind ja sehr kompliziert geworden. Du musst ja im Prinzip heute schon ein Fördermanager sein, um mit Anträgen und Verwendungsnachweisen klarzukommen. Gerade viele freie Künstler:innen schränkt das in der Bezuschussung ein, weil der bürokratische Aufwand mittlerweile ja kaum noch zu leisten ist.

Das ist vor allem bei den Kleinförderungen, die Einzelkünstler:innen betreffen, ein Problem. Da würde ich auch eher dem niederländischen Modell folgen, dass man bis zu einer bestimmten Größenordnung diese Förderungen von Nachweispflichten befreit. Das kann nicht bedeuten, dass man Geld verschenkt, das ist klar. Es muss irgendeine Form von Feedback organisiert werden. Aber dort scheinen sie gute Erfahrung damit gemacht zu haben, da bis zu einem Betrag von 15.000 Euro das Ganze entfällt. Damit wäre wahrscheinlich schon über die Hälfte oder mehr der Förderfälle abgedeckt.

Das Wichtigste ist also, im Kopf umzuschalten?

Die Mentalitätsfrage ist das Wichtigste, richtig. Das betrifft die Gesellschaft allgemein. Aber Politik ist etwas anderes als das, was wir im Alltag betreiben. Sie muss darüber hinausgehen und muss eine Meta-Ebene darstellen. Sie ist gefordert, sich tatsächlich Gedanken darüber zu machen, wie es in zehn oder 20 Jahren aussieht. Das müssen wir jetzt ändern und können es nicht dann tun, wenn die nächsten Katastrophen eingetreten sind.