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Alles muss zusammen passen: Der Festival-Branchentalk

Festivals sind ein wichtiger Teil des Live-Entertainments. Sie ermöglichen es für eine gewisse Zeit, in eine andere Wirklichkeit hinabzutauchen. Vor allem für junge Menschen kann das eine substanzielle kollektive Erfahrung sein. Deutschlandweit gibt es viele Veranstaltende. Sie decken das ganze Bundesgebiet ab.

Vier Expert:innen konnten wir für unseren virtuellen Branchentalk zusammenholen: Katrin Fuhrmann, die Geschäftsführerin vom DJ MAG GERMANY & thegoodheart, Lisa Rombach vom »Electrisize« (KulturGarten GmbH), Florian Gebauer vom »Open Beatz Festival« sowie Sebastian Eggert von ME Events, die das »Airbeat One« und das »Indian Spirit« veranstalten.

Die Festivalszene ist stets im Wandel. Wo steht die Festivalszene 2024 und was erwartet das Publikum von heute? 

Lisa Rombach: 2024 geht es in der Festivalszene nicht mehr nur um die Musik – die Leute wollen das volle Erlebnis. Für uns ist das schon immer der Leitfaden, wir haben nie alles nur auf die Line-up-Karte gesetzt. Lieber setzen wir auf die Gesamtexperience und stetige Weiterentwicklung, bei der unsere Kreativität nicht verloren geht. Für uns als »Electrisize Festival« heißt das, wir arbeiten ständig daran, unseren Besuchern ein Erlebnis zu bieten, das über das Musikalische hinausgeht und immer wieder Überraschungen bereithält. Natürlich kann man nicht bestreiten, dass darüber hinaus auch weitere Themen, wie Diversität, Inklusion und Nachhaltigkeit, immer stärker in den Fokus rücken. Auch mit diesen Themen beschäftigen wir uns daher fortlaufend.

Florian Gebauer: Die Festivalsaison war 2024 schwerer denn je. Klar, es ändern sich immer das Publikum und der Musikgeschmack, aber es gibt nicht nur sehr viel Konkurrenz im direkten Umfeld, sondern auch sehr viele andere Veranstaltungen und Konzerte, was dieses Jahr ganz krass zu sehen war. Deshalb muss man aus der Masse herausstechen und das geht heutzutage nicht mehr nur mit einem Line-up, sondern alles muss zusammenpassen. Marketing, Organisation, sanitäre Anlagen, Speisenangebot, Rahmenprogramm und das Wichtigste: Es muss ein stimmiges Gesamtkonzept sein und man muss ein gutes Community- Management betreiben.

Ein Festivalwochenende kostet mit Übernachtung und Verpflegung genauso viel wie ein kleiner Urlaub. – Kathrin Fuhrmann

Kathrin Fuhrmann: Die Festivalszene ist wie alles ständig im Wandel. Aber die Zeiten haben sich dahingehend verändert, dass gerade junge Menschen andere Bedürfnisse haben und ihr Geld nicht unbedingt in Festivals investieren. Das Line-up rückt immer mehr in den Hintergrund. Stattdessen stehen eine komfortable Anreise sowie die Kosten im Mittelpunkt. Festivalbesucher wollen unkompliziert anreisen und sich im Grunde um nichts Gedanken machen müssen. Am entscheidendsten ist aber der Eintrittspreis und was man dafür geboten bekommt. Ein Festivalwochenende kostet mit Übernachtung und Verpflegung genauso viel, wie ein kleiner Urlaub. Es muss also gut überlegt sein. Festivals funktionieren immer noch gut und es gibt immer noch unzählige Menschen, die eins oder mehrere Festivals im Jahr besuchen. Etablierte Festivals haben es leichter als Festivals, die neu auf dem Markt sind.

Sebastian Eggert: Die Festivalszene hat es aktuell sehr schwer. Es gibt zu viele Festivals und Events. Die Leute haben weniger Geld und müssen sich da einschränken. Hinzugekommen sind dieses Jahr große Sportevents in Deutschland und den umliegenden Ländern wie die Fußball-EM oder die Olympischen Spiele in Paris oder große Konzerttouren wie Adele, Rammstein und Taylor Swift. Das Budget der Gäste teilt sich so weiter auf. Insofern besuchen die Festivalgänger nicht mehr vier Festivals im Jahr, sondern jetzt nur noch zwei. Fast alle Festivals haben dieses Jahr 10 bis 15 Prozent weniger Besucher. Beim »Airbeat One Festival« haben wir das Glück gehabt, fast die gleich Besucherzahl wie im letzten Jahr gehabt zu haben, beim »Indian Spirit« sogar mehr. Der Markt steht vor einer großen Herausforderung, denn die Preise für das Festivalticket können nicht mehr angehoben werden. Aber die Kosten steigen weiter. Das ist die momentane Situation.

Die Festivalszene hat es aktuell sehr schwer. Es gibt zu viele Festivals und Events. – Sebastian Eggert

Immer mehr Festivals schaffen Rahmenprogramme, um das Angebot und Erlebnis auch neben der Musik zu erweitern. Darunter fallen auch typische Kleinkünstler:innen und Artist:innen – was bedeutet das für euch und wie setzt ihr diese ein?

SE: Wir machen das sowohl beim »Airbeat One Festival« und dem »Indian Spirit« schon immer. Über 100 Artist:innen, Feuerkünstler:innen, Jongleur:innen und viele mehr sind auf dem Gelände unterwegs. Hinzu kommt ein Sideprogramm mit Yoga, unser Pool im VIP-Bereich und Fahrgeschäfte. Auch die Sponsoren machen viele Dinge, die zum Sideprogramm hinzugezählt werden können. Die Leute verbringen bei uns ja fünf »Urlaubs«-Tage und wollen auch abseits der Musik unterhalten werden.

FG: Ja, das ist ein wichtiges Thema und man muss jungen Künstlern auch eine Chance geben, aber es ist immer eine Gratwanderung, denn am Ende geht es darum, das Veranstaltungsgelände und die Bühnen zu füllen. Nur so ist es wirtschaftlich, aber wir arbeiten da bereits an einem Konzept für 2025, noch mehr junge, unbekannte, aber vor allem regionale Künstler einzubauen.

LR: Ein außergewöhnliches Rahmenprogramm, welches man so als Besucher nicht bei anderen Events findet, gehört schon lange zum »Electrisize«-Konzept. So haben wir dieses Jahr beispielsweise neben den »Klassikern«, wie Karaoke und Rodeo, auch die größte »Bieryoga Session« ever mit 8.000 Leuten vor der Mainstage veranstaltet und die Besucher hatten die Möglichkeit, ihre ganz individuellen »Daaanzstoken« (Tanzstöcke) zu basteln. Kleinkünstler und Artisten finden bei uns im Programm bisher eher einen kleinen Platz, da wir uns bisher immer auf Attraktion fokussiert haben, die nicht nur was fürs Auge oder Ohr sind, sondern auch zur Interaktion anregen. Dies ist aber sicherlich eine Trendbewegung, die wir im Blick behalten.

Immer mehr Marken und Brands sind heute sehr präsent auf Festivals. Welche Rolle spielen sie und wie werden sie von Besucher:innen angenommen?

KF: Ohne große Brands wäre die Umsetzung eines Festivals nicht mehr möglich. Das ist die Realität. Jedes Festival braucht Sponsoren. Und davon eine Menge. Die Kosten explodieren in allen Bereichen: Infrastruktur, Künstler usw. Um diese hohen Kosten zu stemmen, müssen Marken investieren. Die meisten Festivals und Brands wissen aber, dass die Marken ins Festival integriert werden müssen und nicht einfach plakativ einen Flyer aufhängen. Das ist aber ja auch im Interesse beider Seiten. Es gibt dann auf dem Festival-Gelände Aktivierungen in ganz unterschiedlichen Formen. Die Besucher nehmen das sehr gut an und sie haben gelernt, dass das zu einem Festival dazugehört.

Marken gehören mittlerweile einfach dazu und tragen auch in einem bestimmten Rahmen zur Rentabilität und damit zum Fortbestehen von Festivals bei. – Lisa Rombach

LR: Marken gehören mittlerweile einfach dazu und tragen auch in einem bestimmten Rahmen zur Rentabilität und damit zum Fortbestehen von Festivals bei. Aber klar ist auch, sie müssen bedacht ausgewählt und sinnvoll eingebunden werden. Bei der Auswahl sollte darauf geachtet werden, welche Marken mit der eigenen Zielgruppe und den eigenen Werten matchen, ansonsten macht man sich unglaubwürdig. Die Leute mögen es, wenn Marken vor Ort coole Aktionen oder Erlebnisse bieten, die ins Festivalfeeling passen. Wir achten dabei darauf, dass unsere Partner einen Mehrwert für das Festival schaffen, damit sie nicht nur bei den Besuchern gut ankommen und das Festivalerlebnis unterstützen, sondern auch in das Gesamtbild passen.

SE: Die Sponsoren bereichern das Rahmenprogramm mit ihren Aktionen und Sideevents. Festivals sind bei Marken und Brands sehr beliebt, um eine junge, musik- und erlebnisorientierte Zielgruppe in ausgelassener Atmosphäre zu erreichen. Somit bringt sich die Marke ins Gespräch. Auch für die Veranstalter sind Sponsoren wichtig, um das Festival zu refinanzieren, auch weil man die Ticketpreise nicht weiter erhöhen kann.

FG: Für uns als Veranstalter ist das eine sehr wichtige Einnahmequelle. Neben den Ticketeinnahmen und der Gastro die drittgrößte. Wichtig ist dabei, dass Marken authentisch integriert werden in das Gesamtkonzept des Festivals und dass die Brand Partner etwas vor Ort machen, was für den Gast einen Mehrwert liefert und das Festival aufwertet. Einfach nur große Logos auf den Bühnen würden wir z. B. niemals machen, denn das passt erstens nicht zum Festival und zweitens bringt es dem Gast keinen Mehrwert. Also um die Frage zu beantworten: Ja, wenn man es richtig macht, wird es akzeptiert.

Der Männeranteil ist in der Festivallandschaft in der Überzahl, sowohl auf als auch hinter der Bühne. Woran liegt das und wie lässt sich das in Zukunft ausgeglichener gestalten?

KF: Die Gründe sind, denke ich, allgemein bekannt – und das ist ja ein gesamtgesellschaftliches Thema. Diese Frage lässt sich, bezogen auf die Musikindustrie, nicht in drei, vier Sätzen beantworten. Grundsätzlich gibt es mehr Männer als Frauen, ja! Aber es gibt auch viele Managerinnen, Künstlerinnen, Tourmanagerinnen, Fotografinnen und und und. Im EDM-Bereich gibt es vielleicht nicht viele DJs. Aber zum Beispiel im Pop/Schlager-Bereich gibt es inzwischen so viele erfolgreiche Künstlerinnen und auch hinter den Kulissen arbeiten sehr viele Frauen. Manche Frauen werden nicht ernst genommen, haben aber vielleicht (zu Recht oder nicht) auch Ängste vor einem männerdominierten Job. Meine Mitarbeiterinnen und ich haben zum ganz ganz großen Teil nur positive Erfahrungen gemacht. Klar, es gibt immer Männer, die keinen Respekt zeigen oder irgendwie ein Problem mit starken Frauen haben, aber es gibt auch mindestens genauso viele, die Bock haben und Frauen nichts verwehren und Chancen geben.

SE: Die Struktur der Besucher unserer beiden Festivals ist fast ausgeglichen. Hier hält sich der Anteil an Frauen und Männern fast die Waage. Bei den DJs und Artists haben wir mittlerweile auch viele Frauen wie Charlotte de Witte, Lilly Palmer, Lovra, Miss K8 u. v. a. dabei. Aber es gibt weniger weibliche DJs. Darum ist der Pool, aus dem man schöpfen kann, geringer.

Sicherheit ist eins der größten Themen, gerade im aktuellen Zusammenhang: Welche Auswirkungen haben Ereignisse wie der Messeranschlag in Solingen auf Sicherheitskonzepte für öffentliche Großveranstaltungen?

FG: Unser Sicherheitskonzept ist gut, aber natürlich muss man sich immer hinterfragen, was man besser machen kann, und das machen wir auch regelmäßig in allen Bereichen, auch ohne das Ereignis in Solingen. Aber natürlich sind wir durch Solingen nochmal sensibilisiert.

Unser Sicherheitskonzept ist gut, aber natürlich muss man sich immer hinterfragen, was man besser machen kann … – Florian Gebauer

SE: Wir versuchen, das Infield so sicher wie möglich zu machen, indem wir die Kontrollen noch verschärft haben. Wir arbeiten aber schon seit vielen Jahren mit der Polizei eng zusammen, die auch eine mobile Einsatzwache auf dem Festivalgelände hat. Die Polizei patrouilliert auch in allen Bereichen des Festivals, was dem Besucher viel Sicherheit gibt.

Ein Blick in die Zukunft: Wie sieht die Zukunft der Festivals aus und wie sehen Festivals in Zukunft aus?

FG: Meine persönliche Meinung ist, dass viele Festivals sterben werden, weil sie nicht mit der Zeit gehen und sich nicht anpassen. Es werden aber auch viele neue Festivals entstehen, von denen aber sicher nur ein Bruchteil sich langfristig am Markt etablieren wird, weil es heutzutage viel schwerer ist, ein neues Festival zu etablieren und wirtschaftlich zu sein als noch vor 20 Jahren. Ob ich mit meiner Meinung richtig liege, wird die Zukunft zeigen.

KF: Es werden ganz viele Festivals vom Markt verschwinden. Einige sind es ja schon. Durchsetzen werden sich die, die eine starke Community haben und clever wirtschaften, sich die richtigen Partner mit ins Boot holen und wissen, was ihre Besucher wollen – und was eben nicht. Festivals, die es schaffen, starke Künstler zu bekommen, die selbst eine eigene Fanbase mitbringen, die Ticketpreise nicht zu hoch anzusetzen und gleichzeitig innovative Ideen haben, werden es langfristig schaffen, sich durchzusetzen. Das Problem sind aber bei allen die steigenden Kosten. Selbst die großen Festivals, bei denen nach außen jeder denkt, die müssen Millionen verdienen, schreiben rote Zahlen.

SE: Schwierig zu sagen. In diesem Sommer war zu viel los an Großveranstaltungen, Festivals und Konzerten. Nächstes Jahr gibt es keine Großevents wie die WM oder EM. Von daher blicken wir positiv ins nächste Jahr. Aber einfach wird es nicht. Die Kosten sind da. Man muss schauen, wie man die Kosten effizienter in den Griff bekommt.

LR: Wir glauben, dass der Trend noch weiter weg von line-updriven zu experience-driven geht und sich die Leute noch weniger von einzelnen Künstler-Announcements überzeugen lassen, Geld für ihre Tickets auszugeben. Viel wichtiger ist es generell, eine gesunde Erwartungshaltung zu schaffen und diese Jahr für Jahr nicht zu enttäuschen, sondern im besten Fall zu übertreffen. Generell gilt: Die Branche ist – genauso wie die ganze Welt – schnelllebig geworden. Hier kann und sollte man vielleicht gar nicht zu weit in die Zukunft planen, sondern sich stattdessen viel Flexibilität und Neugierde, Dinge auch mal anders zu denken, offen halten.

Danke für das Gespräch!