Ausstellung “Gehorsam” von Peter Greenaway

Greenaway & Boddeke: die Ausstellungsmacher

Eigentlich ist Peter Greenaway ein berühmter Filmemacher. Die Welt verdankt ihm einzigartige Meisterwerke, Filme von sinnlicher Opulenz wie: „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ oder die grandiose Shakespeare-Adaption „Prosperos Bücher“ mit der Schauspiellegende John Gielgud. „Eisenstein in Guanajuato“, der aktuelle auf Celluloid gebannte Geniestreich des Briten, lief 2015 im Wettbewerb der Berlinale.

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Mit “Gehorsam” zeigen Peter Greenaway und Saskia Boddeke wie man heutzutage eine herausragende Ausstellung macht

Im Jüdischen Museum in Berlin hat der Avantgarde-Regisseur nun gemeinsam mit der niederländischen Multimedia-Künstlerin Saskia Boddeke eine Installation in 15 Räumen kreiert. „Gehorsam“ ist eine Ausstellung, die Maßstäbe setzt und auch Profis eine Flut von Anregungen liefert, wie man herausragende Ausstellungen im Jahr 2015 macht. Sie befasst sich mit der biblischen Erzählung aus dem ersten Buch Mose, in der Abraham den Gottesbefehl erhält, seinen Sohn Isaak zu opfern. Bereits im Foyer können sich die Besucher an zwei Second Life-Terminals spielerisch den Figuren der Erzählung nähern.

Greenaway und Boddeke setzen auf szenische Ausstellungsarchitektur

Ausstellung "Gehorsam" von Peter Greenaway

Greenaway und Boddeke bei der Ausstellungseröffnung

Auf 900 m² haben Greenaway und Boddeke die für alle drei monotheistischen Religionen bedeutsame biblische Erzählung szenisch umgesetzt. Mit multisensorischen Rauminstallationen, die den Besucher durch die Erzählung geleiten, kostbaren Objekten, Filmprojektionen und einem von Luca D‘Alberto eigens für die Ausstellung komponierten soghaften Soundtrack. Den Auftakt bildet die große Film-Installation „I am Isaak/ I am Ismael“, in der Kinder und Jugendliche sich als Isaak oder Ismael zu erkennen geben.

Nachdem die Hauptdarsteller des menschlichen Dramas eingeführt sind, nimmt es seinen Lauf, mit einer Schaupracht und Bildmächtigkeit, die einem aus Greenaways Filmen vertraut ist.Während seines Rundgangs hört, riecht und fühlt der Besucher die Geschichte Isaaks. Noch bevor er begreift, welche Art Informationen in den 15 Räumen angereichert sind, welche Hoffnungen und Ängste sich in religiösen Ritualen manifestieren, darf er staunen, dürfen seine Sinne alles aufsaugen.

Momente vor der Ausstellungseröffnung

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Der Widder als Opfertier

Eine Schar von Fotografen hat sich im Installationsraum Nr.11, dem „Widder-Raum“ hinter Damien Hirsts Objekt „Black Sheep with Golden Horns“ versammelt. Sie bitten einen Kollegen darum, einen Besucher zu simulieren und sich vor einer Video-Projektion zu postieren, die das Opfertier in imposanter Größe zeigt.

Einige Sekunden zuvor hätten die Fotografen auf ihre Auslöser drücken sollen: Da ging diese sympathische Frau durch den Raum, die mit ihren Regiearbeiten und Performances europaweit Erfolge feiert und in den vergangenen 20 Jahren gemeinsam mit ihrem Ehemann Peter Greenaway bereits unzählige internationale Projekte realisiert hat: Saskia Boddeke.

Manche Vitrinen harren beim Pressetermin noch der wertvollen Schaustücke, denn einige kostbare Manuskripte sind noch nicht eingetroffen. Im Raum Nr.5, einem gleißend weißen Raum mit dem Titel „God and the Angel“, wird deutlich, dass auch Wunder wie Engelserscheinungen akribisch vorbereitet sein wollen, damit sie sich ereignen können. Unter dem eindrucksvollen Exponat „The Wings“ des südkoreanischen Gegenwartskünstlers Xooang Choi ragt aus einer kleinen Luke in der mit makellos-weißen Federn geschmückten Wand die Rückenansicht eines Handwerkers, der seinen Oberkörper in die Geheimtür versenkt hat, um letzte Hand anzulegen. Sehen Engel vielleicht ganz anders aus als erwartet?

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Sehen Engel vielleicht ganz anders aus als erwartet?: das Exponat “The Wings” des Südkoreaners Xooang Choi

Die Ausstellungsästhetik: Schriftzeichen kriechen über Tische

Jeder Raum vermittelt dem Besucher ein ganz eigenes Gefühl: In dem düsteren Raum Nr. 6 geht man über Kieselsteine und begegnet dort einem sehr charismatischen Satan, der einen auf die Probe stellt. Der Raum „Agnus Dei“ ist durchdrungen von dem Geruch der Schafswolle, die überall auf dem Boden verstreut ist. Sarah und Hagar ist ein eigener Raum gewidmet: Eine Installation mit tropfendem Wasser macht die vergossenen Tränen der beiden Mütter hörbar. Im Raum „The Binding“ hängen Stricke, Handschellen und zahlreiche andere Objekte der Drangsal und Fesselung von der Decke.

In der Ausstellungsästhetik des Künstlerpaars werden Medien, Sprachen und Kunstgattungen virtuos vermischt, wobei jegliche pädagogischen Schautafeln fehlen. Sie vertrauen darauf, dass auch sinnliches Erleben zur Erkenntnis führt, dass der Körper beim Betreten der inszenierten Räume etwas versteht, lange bevor der Verstand der Informationen habhaft wird.

Ausstellungsdramaturgie: Die Schutzbefohlenen

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Die Ausstellung zeigt, dass auch sinnliches Erleben zur Erkenntnis führt

Die Opfererzählung in dem Raum „The Sacrifice“ bildet den dramaturgischen Höhepunkt des Rundganges und wird in einer Video-Installation von der berühmten israelischen Gruppe Club Guy & Roni getanzt. An der Wand hängen 19 Schafe des koreanischen Künstlers Kyu Seok Oh und dienen als Ersatzopfer. Boddeke und Greenaway schließen hier die religiöse Überlieferung mit der Gegenwart kurz mit dem heutigen Krisen- und Kriegsgeschehen. Sie verschieben den Fokus auf alle Kinder, die die Opfer einer kriegerischen von Erwachsenen eingerichteten Welt sind.

Im letzten der 15 Räume wird der Betrachter schließlich mit der Frage konfrontiert: „Or am I Abraham?“ Das Künstlerpaar macht deutlich, wie eine Geschichte die vor langer Zeit erzählt wurde, auch heute noch gesellschaftlich wirksam ist, eine Wirkmächtigkeit besitzt, derer man sich bewusst werden sollte, um zu verstehen, wie Gesellschaften funktionieren, um die Gegenwart zu verstehen.

In dieser berauschenden, alle Sinne betörenden Multimedia-Installation wird man nicht belehrt, sondern zum Denken verführt. Update: Die Ausstellung „Gehorsam“ wurde verlängert und ist noch bis zum 15. November 2015 im Jüdischen Museum in Berlin zu erleben.